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Jenseits Der Schatten

Titel: Jenseits Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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eine klare, eisige Nacht in der Stadt Khaliras; erst in zwei Stunden würde der Tag dämmern. Dorian hatte ganz vergessen, wie herrlich der Anblick des nördlichen Sternenhimmels war. In der Stadt brannten nur wenige Lichter - Öl war kostbar -, so dass die Sterne ihren prächtigen Glanz umso besser zeigen konnten.
    Ohne es zu wollen, empfand Dorian so etwas wie Stolz, als er über die Stadt blickte, die seine hätte sein können. Khaliras zog sich in einem gewaltigen Ring um den Abgrund, der den Sklavenberg umgab. Aufeinanderfolgende Generationen von Gottkönigen aus dem Geschlecht der Ursuuls hatten die Stadt mit halbkreisförmigen Mauern befestigt - um ihre Sklaven, Handwerker und Händler zu schützen -, bis all diese Halbkreise aus verschiedenen Steinen schließlich einen Ring um die ganze Stadt gebildet hatten.
    Es gab nur eine Erhebung, einen schmalen granitenen Grat, den sich die Hauptstraße in Serpentinen hinaufwand, die dazu berechnet waren, den Einsatz von Belagerungsmaschinen zu erschweren. Oben auf diesem Grat thronte der Torturm wie eine Kröte auf ihrem Baumstumpf. Und unmittelbar hinter den rostigen, eisernen Zähnen des Fallgitters des Turmtors lag Dorians erste große Herausforderung.
    »Ihr vier, marsch«, sagte Rugger.
    Dorian war der dritte von vier Eunuchen, die allesamt zitterten, während sie die letzten Schritte gingen. Die Lichtbrücke war eines der Weltwunder, und auf all seinen Reisen hatte Dorian keine Magie gesehen, die der dieser Brücke gleichgekommen wäre. Ohne Brückenbögen, ohne Pfeiler hing die Brücke wie der Aufhängefaden für ein Spinnennetz über dem Abgrund und überspannte
eine Entfernung von vierhundert Schritt zwischen dem Torturm und der Zitadelle des Sklavenbergs.
    Bei seiner letzten Überquerung der Lichtbrücke hatte Dorian nur Augen für die Brillanz dieser Magie gehabt, die unter seinen Füßen sprühte und federte und bei jedem Schritt in tausenden Farben funkelte. Jetzt sah er nichts als die Bausteine, in denen die Magie verankert war. Das gelbliche Material, aus dem die Lichtbrücke bestand, war kein Stein, es war kein Metall oder Holz; sie bestand vielmehr aus einem Pfad menschlicher Schädel, einem Pfad, der breit genug war, dass auf ihm drei Pferde nebeneinandergehen konnten. Neue Schädel waren hinzugefügt worden, wo sich im Laufe des Jahres Löcher gebildet hatten. Jeder Vürdmeister, wie die Meister der Vir genannten wurden, nachdem sie in die zehnte Shu’ra gelangten, konnte die ganze Brücke mit einem einzigen Wort zerstören. Dorian selbst kannte den Spruch, was immer ihm das jetzt nützen mochte. Was ihm im Moment zu schaffen machte und einen Knoten in seine Eingeweide zu binden schien, war allerdings die Tatsache, dass die Magie der Lichtbrücke jeden Magus - der sich nur seiner magischen Begabung bediente - in die Tiefe werfen würde. Die Meister und Vürdmeister dagegen, die ihre Magie aus den abscheulichen Vir bezogen, konnten sie ungehindert passieren.
    Als vermutlich einzige Person in Midcyru, die sowohl als Meister als auch als Magus ausgebildet war, glaubte Dorian, eine bessere Chance zu haben, es über die Brücke zu schaffen, als jeder andere Magus. Er hatte sich am letzten Abend neue Schuhe gekauft und eine Bleiplatte in die Sohlen geschoben. Er vermutete, dass er damit alle Spuren südlicher Magie, die ihm noch anhaften mochten, für die Magie der Brücke unkenntlich gemacht hatte. Unglücklicherweise gab es nur eine einzige Möglichkeit herauszufinden, ob er damit richtig lag.

    Mit Herzklopfen folgte Dorian den Eunuchen auf die Lichtbrücke. Bei seinem ersten Schritt flackerte die Brücke in einem unheimlichen Grün, und Dorian spürte ein Kribbeln an den Füßen, als die Vir um seine Schuhe herumgriffen. Einen Augenblick später hatte beides aufgehört, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Dorian hatte es geschafft. Die Lichtbrücke spürte, dass er die magische Begabung eines südlichen Magiers besaß, aber Dorians Vorfahren waren klug genug gewesen zu wissen, dass nicht jede magisch begabte Person auch ein Magus war. Die folgenden Schritte Dorians - er schlurfte wie die anderen ängstlichen Eunuchen - schienen Funken aus der Magie zu schlagen, während die Totenschädel, über die sie hinwegschritten, sie hasserfüllt aus leeren Augenhöhlen anstarrten. Aber sie gaben nicht nach, und sie ließen ihn nicht in die Tiefe fallen.
    Wenn Dorian noch einigen Stolz empfunden hatte angesichts des Zauberwerks der Lichtbrücke, dann empfand er

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