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Jenseits Der Schatten

Titel: Jenseits Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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beim Anblick des Sklavenbergs nur Furcht. Er war in den Eingeweiden dieses verfluchten Felsens geboren worden, hatte in seinen Kerkern geschmachtet, hatte in seinen Gruben gekämpft, in seinen Schlafgemächern, Küchen und Hallen gemordet.
    In diesem Berg würde Dorian seine Vürd finden, sein Schicksal, das, was ihm gegeben war, seine Vollendung. Er würde auch die Frau finden, die er zu seiner Gemahlin machen würde. Und, so fürchtete er, er würde herausfinden, warum er seine Gabe der Prophezeiung weggeworfen hatte. Was war so furchtbar, dass er deren bloße Voraussicht unerträglich gefunden hatte?
    Der Sklavenberg war eine künstliche Anlage: eine gewaltige vierseitige, schwarze Pyramide, die doppelt so hoch war, als ihre Basis in der Breite maß, und sich tief in die Erde hinein fortsetzte. Von der Lichtbrücke aus blickte Dorian hinab auf die Wolken, die tief unter ihm verdeckten, was immer dort liegen
mochte. Dreißig Generationen von Sklaven, sowohl Khalidori als auch Kriegsgefangene, waren in diese Tiefe geschickt worden und hatten dort gegraben, bis sie in den übelriechenden Miasmen ihren letzten Atemzug getan hatten und ihre Knochen sich mit dem Erz des Berges vermählten.
    Die Pyramide war von oben nach unten zwischen zwei gegenüberliegenden Kanten glatt abgehauen worden, so dass die stehen gebliebene Hälfte einen großen dreiseitigen Dolch von einem Berg ergab, vor dessen Grund sich eine ebene Fläche befand. Auf dieser Fläche hatte einst die abgetragene Hälfte der Pyramide gestanden, und jetzt erhob sich darauf die Zitadelle. Sie wurde durch den riesigen Berg hinter ihr weit überragt, aber je näher man ihr kam, desto deutlicher wurde, dass auch sie eine ganze Stadt für sich war. Auf ihrem Gelände befanden sich Kasernen für zehntausend Soldaten, große Lagergebäude, gewaltige Brunnen, Trainingsgründe für Männer, Pferde und Wölfe, Waffenkammern, ein Dutzend Schmieden, Küchen, Ställe, Scheunen, Pferche für Vieh, Holzlager und Raum genug für all die Arbeiter, Geräte und Materialien, die zwanzigtausend Menschen benötigten, um ein Jahr unter Belagerung standzuhalten. Allerdings wurde die Zitadelle noch in den Schatten gestellt durch das Schloss, das der Sklavenberg in Wahrheit war. Denn der Berg war ausgehöhlt und gefüllt mit Hallen, großen Sälen, Gemächern und Kerkern, Durchgängen und anderen Quartieren, die sich bis weit in die Tiefe erstreckten.
    Seit Jahrzehnten waren weder die Zitadelle noch der Berg selbst voll besetzt gewesen, und jetzt, da die Armeen Khalidors im Norden und im Süden standen, war es dort noch ruhiger als gewöhnlich. Nur wenige waren in Khaliras verblieben, lediglich eine Stammbesatzung von Soldaten, weniger als die Hälfte der Meister, über die das Königreich verfügte, gerade genug Beamte,
um die reduzierten Aktivitäten des Reichs in Gang zu halten, die Edelinge, die Ehefrauen und Konkubinen des Gottkönigs und deren Hüter.
    Der oberste dieser Hüter war Yorbas Zurgah, der Obereunuch und Kämmerer. Yorbas war ein alter, vollkommen haarloser Mann, der sich sogar den Schädel rasierte und die Augenbrauen und Augenlider auszupfte. Er saß, gegen die morgendliche Kälte eingehüllt in einen Umhang aus Hermelin, am Dienstboteneingang. Vor sich hatte er einen Tisch mit einem entfalteten Pergament. Seine blauen Augen musterten Dorian zweifelnd.
    »Du bist klein«, sagte Zurgah. Er selbst war groß, wie es für die Eunuchen typisch war.
    Und Ihr seid fett. »Ja, mein Lord.«
    »›Herr‹ wird genügen.«
    »Ja, Herr.«
    Der Kämmerer Zurgah strich sich mit wurstigen Fingern voller Juwelenringe über das haarlose Kinn. »Irgendwie siehst du merkwürdig aus.«
    In seiner Jugend hatte Dorian Yorbas Zurgah nur selten gesehen. Er glaubte nicht, dass der Mann sich an ihn erinnern würde, aber alles, was eine genauere Musterung zur Folge hatte, konnte ihm gefährlich werden.
    »Kennst du die Strafe für einen Mann, der versucht, sich Zutritt zum Harem zu verschaffen?«, fragte Zurgah.
    Dorian schüttelte den Kopf und blickte standhaft weiter zu Boden. Er biss die Zähne zusammen und strich sich, ohne den Blick zu heben, das Haar hinter die Ohren zurück.
    Er hatte es für eine geniale Idee gehalten; er hatte sein Haar mit silbernen Strähnen versehen, seine Ohren leicht zugespitzt und einige seiner Zehen mit Schwimmhäuten verbunden. Diese Merkmale wies nur ein einziger Stamm in Khalidor auf. Die Feyuri
nahmen für sich in Anspruch, vom Feenvolk abzustammen, und

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