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Jenseits Der Schatten

Titel: Jenseits Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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Tag mit Euch verbringen zu können. Ich möchte Euch nicht im Weg sein. Ich möchte nur lernen.«
    Dorian sah Ashaiah Vul an. Der Mann hatte natürlich den Blick abgewandt. Er würde es nicht wagen, Missbilligung gegenüber den Entscheidungen eines Gottkönigs zu zeigen oder eine Frau eines Gottkönigs auch nur anzusehen. »Ich fürchte, ich werde gleich etwas bemerkenswert Unerfreuliches zu sehen bekommen. Ihr wollt es nicht sehen. Ich will es nicht sehen. Ihr solltet besser im Thronsaal warten. Ich werde in Kürze zurück sein.« Dorian wandte sich ab.
    »Ich möchte es durchaus sehen«, warf Jenine ein. Angesichts ihrer Kühnheit schnappte Ashaiah Vul nach Luft, dann betrachtete er einmal mehr den Boden, während sie beide ihn ansahen. Er errötete.
    »Ich bitte tausend Mal um Vergebung, mein Herr, ich habe vorschnell gesprochen. Vergebt mir meine Unhöflichkeit«, sagte Jenine und biss sich auf die Unterlippe. »Ich - mein Vater hat sich niemals Dinge angeschaut, die er nicht sehen wollte, und das hat dazu geführt, dass er und meine gesamte Familie getötet wurden. Es ist ein Teil des Herrschens, sich Dingen zu stellen, die uns nicht gefallen. Mein Vater hat sich dem verweigert, weil er schwach und bestechlich war. Wie sonst soll ich lernen, wenn nicht von Euch?«
    »Was ich zu sehen bekommen werde, übersteigt alles, womit Euer Vater zu tun hatte, sei es real oder eingebildet gewesen«, entgegnete Dorian.

    »Dennoch.« Jenine war ungerührt, und Dorian konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Er liebte ihre Stärke, selbst wenn sie ihn überraschte.
    »Also gut«, sagte er. »Ashaiah, zeigt uns, was Ihr mir allein zeigen wolltet. Alles.«
    Ashaiah Vul erwiderte nichts und tat so, als habe er keine Meinung - und vielleicht hatte er tatsächlich keine. Der unwillkommene Befehl eines Gottkönigs war wie ein Tag mit unwillkommenem Wetter. Es mochte einem missfallen, aber man machte sich auch keine Illusionen, dass man etwas daran ändern konnte. Also führte Ashaiah sie tief in die Eingeweide der Zitadelle hinein und dann in die Tunnel des Berges selbst. Dorian konnte Vir an dem Mann riechen, wenn auch nicht viel. Er war bestenfalls ein Meister der dritten Shu’ra.
    Schließlich blieb Ashaiah Vul vor einer Tür stehen, die aussah wie irgendeine der hundert anderen so tief in der Zitadelle. Der Staub in dieser Halle lag so dick, dass er mehr wie Erde wirkte, und es war offenkundig, dass dieser Raum in jüngster Zeit ebenso wenig Besucher gesehen hatte wie die anderen. Ashaiah schloss die Tür auf und öffnete sie.
    Dorian griff nach seinen Vir, während er dem Lodricari in die Dunkelheit hinein folgte. Sein erster Eindruck war der eines riesigen, höhlenartigen Raums. Die Luft war modrig, stickig, ranzig.
    Ashaiah murmelte eine Beschwörung, und Dorian riss drei Schilde um sich selbst und Jenine hoch. Einen Moment später floss Licht den Bogen hinauf, wo Ashaiah die Hand gegen die Wand hielt. Es breitete sich von Bogen zu Bogen aus, über eine bemalte Decke in mehr als dreißig Metern Höhe. Binnen weniger Sekunden war das Gewölbe in Licht getaucht.
    Dies war einst eine Bibliothek gewesen, ein Ort der Schönheit und des Lichtes. Die Wände und Säulen hatten die Farbe von
Elfenbein und Spitze. Das Wandgemälde war wie etwas aus einer vergessenen Legende, Licht, das aus Dunkelheit kam, Schöpfung. Es verströmte ein Gefühl von Göttlichkeit und Zielstrebigkeit. Lange Kirschbaumregale hatten einst Platz sowohl für Schriftrollen als auch für Bücher geboten, und Tische hatten zum Studium der Schriften bereitgestanden.
    Jetzt beherbergte der Raum saubere, weiße Knochen. Das Gewölbe war Hunderte von Schritt lang und halb so breit, und überall hatte man Bücher und Schriftrollen entfernt. An ihrer Stelle lagen auf jedem Regal, auf jedem Tisch Knochen. Sehr, sehr alte Knochen. In einigen Regalen lagen ganze Skelette, beschriftet mit Etiketten, die an den Handgelenken befestigt waren. Auf einigen lagen Skelette von menschlichen Knochen, die jedoch zu unmenschlichen Gestalten arrangiert waren. Aber größtenteils enthielten die Regale gleichartige Knochen, mit Schachteln für die kleineren. Ein ganzes Regal voller Oberschenkelknochen. Schachteln mit Fingerknochen. Übereinandergestapelte Becken. Ganze Wirbelsäulen und - in Schachteln - einzelne Wirbel. Und Schädel in einem großen, zentralen Bereich des Raums: Berge von Schädeln. Dorian ließ die Schilde sinken. Dies war kein Angriff. Zumindest nicht auf

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