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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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die Tür zum Kosm und natürlich die Tür zur Essenz - das alles mußte verschlungen werden. Auch sie, die Verschlingerin, mußte Teil der Versetzung sein. Zerkaut und in eine andere Zeit gespuckt.
    Plötzlich hörte Kissoon auf zu schreien.
    »Was machst du?« sagte er und drehte sich zu ihr um. Seine gestohlenen Gesichtszüge, die nicht daran gewöhnt waren, Wut auszudrücken, waren auf groteske Weise verzerrt. Sie ließ sich nicht von dem Anblick ablenken. Auch das war Teil der Szene, die sie verschlingen mußte. Sie war ihm ebenbürtig.
    »Wage es nicht!« sagte Kissoon. »Hast du mich verstanden?«
    Sie hörte ihn und aß weiter.
    »Ich warne dich«, sagte er und kam wieder auf sie zu.
    »Wage es nicht!«
    Irgendwo im hintersten Winkel von Randolph Jaffes Erinnerungen lösten diese drei Worte und der Tonfall, in dem sie ausgesprochen wurden, ein Echo aus. Er war einmal in einer Hütte gewesen, mit einem Mann, der sie genauso
    ausgesprochen hatte. Er erinnerte sich an die abgestandene Hitze in der Hütte und an den Geruch seines eigenen
    Schweißes. Er erinnerte sich an den dürren alten Mann, der auf der anderen Seite des Feuers saß. Aber am allerdeutlichsten erinnerte er sich an den Wortwechsel, der ihm jetzt aus der Vergangenheit wieder ins Gedächtnis kam:
    »Wage es nicht!«
    »Es ist, als würde man ein rotes Tuch vor einem Stier wedeln, wenn man ›Wage es nicht!‹ zu mir sagt. Ich habe Dinge gesehen... getan...«
    Nach den Worten erinnerte er sich an eine Bewegung. Seine 747
    Hand griff zur Jackentasche, wo er ein Messer mit stumpfer Klinge fand, das dort wartete. Ein Messer mit Appetit darauf, versiegelte und geheime Dinge zu öffnen. Wie Briefe; wie Schädel.
    Er hörte die Worte noch einmal -
    »Wage es nicht!«
    - und öffnete seine Wahrnehmung für die Szene, die sich vor ihm abspielte. Sein Arm, eine Parodie der kräftigen
    Gliedmaßen, die er einmal gehabt hatte, griff in die Tasche. Er hatte das Messer all die Jahre über nie aus seinem Besitz gegeben. Es war immer noch stumpf. Es war immer noch
    hungrig. Er schloß die verwesten Stümpfe um den Griff. Er sah den Hinterkopf des Mannes an, der aus seinen Erinnerungen gesprochen hatte. Dieser war ein leichtes Ziel.
    Tesla sah die Bewegung von Jaffes Kopf aus den Augenwin-keln; sah, wie er sich von der Wand abstieß und die rechte Hand von der Jackentasche hob. Sie sah nicht, was er hielt, erst im letzten Augenblick, als Kissoon die Finger schon fest um ihren Hals gelegt hatte und die Lix sich um ihre Beine schlangen. Sie hatte die Versetzung nicht durch seinen Angriff aufhalten lassen. Auch er wurde zu einem Teil des Bildes, das sie verschlang. Und jetzt Jaffe. Der die Hand hob. Und das Messer, das sie endlich in der erhobenen Hand funkeln sah.
    Und wie es heruntersauste und sich in Kissoons Nacken bohrte.
    Der Schamane schrie, ließ die Hände von ihrem Hals sinken und streckte sie hinter den Kopf, um sich zu schützen. Sein Schrei gefiel ihr. Er war der Schmerz ihres Feindes, und ihre Macht schien mit seinem Bogen zu steigen; plötzlich war die Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, leichter denn je, als würde ein Teil von Kissoons Stärke mit dem Schrei zu ihr
    herübergetragen werden. Sie schmeckte den ganzen Raum, in dem sie sich befanden, im Mund ihres Geistes und kaute darauf. Das Haus erbebte, als ein großes Stück davon
    abgebrochen und in die geschlossenen Augenblicke der
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    Schleife transportiert wurde.
    Sofort: Licht.
    Das Licht der ewigen Dämmerung in der Schleife, das zur Tür hereinfiel. Und damit auch derselbe Wind, der ihr jedesmal, wenn sie hier gewesen war, ins Gesicht geweht hatte.
    Er wehte durch die Diele und riß einen Teil des Einflusses der Iad mit sich fort und über die Wüste davon. Als der Einfluß schwächer wurde, sah sie, wie Grillo den starren
    Gesichtsausdruck verlor. Er hielt sich am Türrahmen fest, blinzelte ins Licht und schüttelte den Kopf wie ein Hund, den Flöhe zum Wahnsinn treiben.
    Da ihr Meister verwundet war, hatten die Lix ihren Angriff eingestellt, aber sie wagte nicht zu hoffen, daß sie sie lange in Ruhe lassen würden. Bevor er ihnen neue Anweisungen geben konnte, hastete sie zur Tür und hielt nur einmal an, um Grillo vor sich herzuschubsen.
    »Was, in Gottes Namen, hast du getan?« sagte er, als sie auf den ausgebleichten Wüstenboden traten.
    Sie drängte ihn von den versetzen Zimmern weg, die kein Gebäude mehr um sich herum hatten, das die Brecher der Essenz dämpfen konnte, und bereits

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