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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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draußen an.
    Gewaltige, verwesende Formen, die Luft um sie herum vor Aktivität knisternd, als würden sich Fliegen so groß wie Vögel an ihrer Fäulnis laben. DieIad Uroboros. Selbst jetzt, in seiner Faszination, suchte sein Verstand - von Swift inspiriert - nach Worten, um den Anblick zu beschreiben; aber wenn es um das Böse ging, war das Vokabular unzureichend. Verderbtheit, Niedertracht, Gottlosigkeit: was waren so simple Zustände im Angesicht von derart heillosem Grauen? Hobbys und
    Unterhaltungen. Appetitanreger zwischen garstigeren
    Hauptgängen. Er beneidete diejenigen, die den Verirrungen näher waren, beinahe um das Verständnis, das diese Nähe 744
    bringen mußte...
    Der in den Tumult der Wellen geworfene Howie hätte ihm das eine oder andere erzählen können. Als sich dieIad ihnen genähert hatten, war ihm wieder eingefallen, wo er dieses Entsetzen schon einmal gespürt hatte: im Schlachthof von Chicago, wo er vor zwei Jahren gearbeitet hatte. Erinnerungen an diesen Monat gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Der Schlachthof im Sommer, in den Rinnsteinen gerinnendes Blut, Tiere, die die Blasen und Därme leerten, wenn sie die Todesschreie derjenigen vor ihnen in der Reihe hörten. Leben, das mit einem einzigen Schuß in Fleisch verwandelt wurde. Er versuchte, durch diese gräßlichen Bilder hindurch zu Jo-Beth zu sehen, mit der er so weit gekommen war, auf dieser Flut, die sich verschworen hatte, sie vereint zu lassen, sie aber nicht schnell genug ans Ufer bringen konnte, damit sie den
    Schlächtern entkommen konnten, die ihnen im Nacken saßen.
    Ihr Anblick, der ihm die letzten verzweifelten Augenblicke versüßt haben könnte, wurde ihm nicht gewährt. Er konnte nur das Vieh sehen, das zu den Rampen getrieben wurde, und die Scheiße und das Blut, die mit Schläuchen weggespritzt wurden, und zuckende Kadaver, die an einem gebrochenen Bein in die Höhe gezogen und zum Ausweiden über das Fließband
    geschickt wurden. Dasselbe Grauen erfüllte seinen Kopf für ewig und alle Zeiten.
    Den Ort jenseits der Brandung konnte er ebensowenig sehen wie Jo-Beth, daher hatte er keine Ahnung, wie fern - oder wie nahe - sie dem Ufer waren. Hätte er sehen können, hätte er Jo-Beths Vater erblickt, der besessen war und mit Tommy-Rays Stimme sprach:
    »... wir kommen! ... wir kommen...«
    Und Grillo, der die Iad anstarrte; und Tesla, deren Leben von einem Mann bedroht wurde, einem Mann namens -
    »Kissoon! Bei der Barmherzigkeit! Sieh sie doch an! Sieh sie an!«
    745
    Kissoon sah zum Schisma und der Fracht, die die Flut
    brachte.
    »Ich sehe sie«, sagte er.
    »Glaubst du, die kümmern sich einen Scheißdreck um dich?
    Wenn sie durchkommen, dann bist du tot, wie wir alle!«
    »Nein«, sagte er. »Sie bringen eine neue Welt, und ich habe meinen Platz darin verdient. Einen hohen Platz. Weißt du, wie viele Jahre ich darauf gewartet habe? Geplant habe? Gemordet habe? Sie werden mich belohnen.«
    »Du hast einen Vertrag unterschrieben, ja? Hast du es schriftlich?«
    »Ich bin ihr Befreier. Ich habe das möglich gemacht. Du hättest damals in der Schleife zum Team stoßen sollen. Hättest mir eine Weile deinen Körper leihen sollen. Ich hätte dich beschützt. Aber nein. Du hattest deine eigenen Ambitionen. So wie er.« Er sah Jaffe an. »Genau dasselbe. Ihr mußtet unbedingt euer Stück vom Kuchen haben. Und ihr seid beide daran erstickt.« Er wußte, Tesla würde nicht fliehen, da sie keinen Ausweg mehr hatte, daher ließ er sie los und ging Jaffe einen Schritt entgegen. »Er war näher dran als du, aber dann fehlte ihm der Mumm.«
    Jaffe gab nicht mehr Tommy-Rays ausgelassene Schreie von sich. Nur ein leises Stöhnen, das vom Vater kommen konnte oder vom Sohn oder von beiden.
    »Du solltest sehen«, sagte Kissoon zu dem gequälten Gesicht. »Jaffe. Sieh mich an. Ich möchte, daß du siehst!«
    Tesla sah zu dem Schisma. Wie viele Wellen konnten noch brechen, bis die Iad das Ufer erreichten? Ein Dutzend? Ein halbes Dutzend?
    Kissoon wurde immer wütender auf Jaffe. Er fing an, den Mann zu schütteln.
    »Sieh mich an, verdammt!«
    Tesla ließ ihn toben. Dadurch bekam sie einen Augenblick Zeit; einen Augenblick, den sie nutzen und versuchen konnte, 746
    die Versetzung in die Schleife erneut zu bewerkstelligen.
    »Wach auf und sieh mich an, Pisser. Ich bin Kissoon. Ich bin draußen! Ich bin draußen!«
    Sie machte sein Wüten zu einem Teil der Szene, die sie sich vorstellte. Sie konnte nichts ausklammern. Jaffe, Grillo,

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