Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
hätte nicht mit dieser Dirne in sein Zimmer verschwinden und sie aussperren dürfen. Er gehört doch ihr, war Teil ihres Reviers, war ihr Zuhause. Er war außerdem ein viel zu netter junger Mann, um nicht zu sehen, wie unwürdig diese Frau war, wie niederträchtig, widerwärtig und gewöhnlich. Sie verkaufte ihren nackten Körper für Geld. Das war skandalös. Außerdem war sie ohnehin viel zu alt für ihn, und auch nicht hübsch genug. Was sah er bloß in ihr?
Die Tür zu öffnen war leicht gewesen. Das hatte sie inzwischen gelernt, und abgeschlossen hatte er nicht. Er hatte nicht damit gerechnet, von ihr gestört zu werden, und sie hätte ihn wohl auch nicht stören dürfen. Gewiss hätte sie das nicht tun sollen.
Was sie erwartet hatte, wusste sie nicht so sicher. Sie wusste zu wenig vom Ablauf eines Liebesspiels. Eine Umarmung vielleicht. Ein intensiver Kuss? Sie hatte noch nicht einmal über die Möglichkeit nachgedacht, ihn nackt zu sehen, obgleich das eine logische Erwartung gewesen wäre, wenn sie nur überlegt hätte. Doch sie war nur ihrem Instinkt gefolgt, ohne zu denken. Jemand brach in ihr Revier ein, jemand verwandelte ihren Beschützer von einem freundlichen jungen Mann in einen lüsternen Liebhaber. Aber diese Frau sollte er nicht lieb haben. Wirklich nicht.
Dennoch, die Szene, die sie angetroffen hatte, hatte sie nicht erwartet. Sein Körper war fast vollständig entkleidet, muskulös, exquisit. Seine Männlichkeit war hervorstechend, sein Gesicht eine Mischung aus Leiden und Leidenschaft. Furchteinflößend und wunderschön. Diese schreckliche Person kniete vor ihm, bereit ihn zu beißen. Ihr Mund war geöffnet, ihre Zähne lauerten schon an der richtigen Stelle, und er wehrte sich nicht einmal.
Jedenfalls rannte er nicht weg, war wie mesmerisiert. Nur einen Bruchteil einer Sekunde sah sie, was die Frau tat, und kein vernünftiger Gedanke ging ihr durch den Kopf, nur die Gewissheit, dass sie es verhindern musste.
Sie sprang, die Krallen ausgefahren, Zähne gebleckt, Entrüstung im Herzen. Er gehörte ihr, niemand sonst durfte ihn beißen.
Fast im gleichen Moment begriff sie, dass die Frau das gar nicht vorhatte. Zu spät. Ihre Krallen fuhren über Haut, und es gelang ihr sogar, ein kleines bisschen zuzubeißen, ehe eine Hand sie packte und sie durch den Raum geschleudert wurde. Seine Hand oder ihre? Sie wusste es nicht.
Der Aufschlag dröhnte ihr durch ihr ganzes Sein. Man brachte ungewollte Kätzchen um, indem man sie gegen die Wand schlug. Das wusste sie. Sie hatte nicht überlegt, in welcher Gefahr sie war. Sie hatte ja nicht einmal überlegt, dass sie eine kleine Katze war. Ihre Empörung war durchaus menschlich. Nur ihre Klauen und Zähne waren die einer Katze, und vielleicht ihre Entschlossenheit, ihr Mangel an Zurückhaltung und Scheu in einer solchen kompromittierenden Situation.
Als Mädchen hätte sie diese Tür nie geöffnet, und sie wäre keinesfalls dazwischengegangen.
Als Katze hatte sie solche Hemmungen nicht. Dies war ihr Revier. Allerdings hätte Catty, die Katze, sich kaum so sehr über das Fehlverhalten des Mannes aufgeregt. Es gab einfach keinen Grund, sich deshalb derart zu echauffieren. Die Tatsache, dass sie kein Mittagessen bekommen hatte, war da weitaus ärgerlicher.
Jetzt würde er sie rauswerfen. Zurück auf die Straße. Zurück in die Gefahr, zu den Hunden und den Riesenspinnen. Sie würde da draußen sterben. Sie hatte nicht das Katzenwissen, um zu überleben. Sie konnte keine Mäuse jagen, um sie roh zu essen. Sie wusste auch nicht, wie man sich in der Tierwelt verständigte oder zurechtkam. Ein paar Tage, und dann wäre sie tot.
Sie hörte, wie er mit der Frau sprach. Er gab ihr Geld. Vermutlich gab er ihr viel mehr Geld, als ihr zustand, und Künstler waren arm, oder nicht? Hatte sie ihn jetzt aller Barschaften beraubt? Würde er hungern müssen? Würde sie hungern müssen? Vielleicht ja nicht, der andere junge Mann würde sie ja möglicherweise füttern. Ob er seinen Freund auch mit durchfüttern würde?
Die Tür zum Treppenhaus schloss sich, und sie hörte, wie Thorolf zurückkam. Gleich würde er wieder in seinem Zimmer sein. Was dann? Was würde er ihr tun?
Seine Schritte waren leise, er war barfuß. Sie hörte ihn dennoch deutlich. Sie beobachtete ihn argwöhnisch, als er zurück ins Schlafzimmer kam und die Tür hinter sich schloss. Sein Gesicht war unwirsch und düster. Er war sehr wütend. Sie roch seine Frustration, seine Enttäuschung, seine
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