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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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nette Zeichnungen! Ein hübsches Mädchen. Wer ist sie?“, fragte Lord Edmond, und fast schien seine Stimme zu gurren und zu schnurren. Wie eine Katze klang er, die eine Maus zum Tanz aufforderte.
    „Ich weiß es nicht. Ich habe sie nur einmal sehr kurz gesehen.“
    „Dennoch können Sie sie so genau zeichnen? Sie sind ein größerer Künstler, als ich zu hoffen gewagt habe, Herr Treynstern. Meine Investition wird sich lohnen. Verkaufen Sie die Zeichnungen?“
    „Es sind nur Entwürfe. Irgendwann einmal werde ich sie als Vorlage für ein Gemälde nehmen. Doch dies sind nur Skizzen von Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Unverkäuflich. Alle meine Entwürfe sind unverkäuflich. Es tut mir außerordentlich leid.“
    Thorolf – so viel war deutlich – war nicht glücklich darüber, dass sein Besucher sich die Bilder ansah. Catty selbst hatte sie noch gar nicht gesehen, da sie entweder in seiner Mappe lagen oder umgedreht auf dem Tisch. Mit Pfoten war es schwierig, Blätter umzudrehen. Doch sie sollte sie sich unbedingt anschauen. Die Unterhaltung der beiden Männer war so ausnehmend seltsam, als ginge es gar nicht um Kunst.
    Ein amüsiertes Lachen erschallte im anderen Zimmer.
    „Eine Riesenspinne! Ihre Phantasie ist beeindruckend.“
    „Danke, Lord Edmond.“ Die Antwort klang extrem trocken.
    „Ich sehe schon, von Schwind hat einen würdigen Schüler. Sie und er erforschen gleichermaßen das Unmögliche. Doch ich muss gestehen, dass seine Bilder ein wenig tröstlicher sind. Nicht so gruselig. Nackte, tanzende Nymphen im Wald sind doch netter und verführerischer anzusehen als schwarze Spinnen. Wer ist die junge Frau?“
    „Lena. Sie sitzt Malern Modell.“
    „Sie wollten, dass sie von einem Monster zerrissen würde?“ Die Anklage klang über alle Maßen amüsiert.
    „Natürlich nicht. Es war nur ein Bild, das mir durch den Kopf ging.“
    „Ihr Kopf muss ein interessanter Ort sein. Hat die Spinne metaphorische Bedeutung? Oder ist meine klassische Bildung so defizitär, dass ich nicht auf die passende Legende komme – obgleich ich sie kennen müsste? Leda und der Schwan – das sagt mir was. Lena und die Spinne – das ist mir neu.“
    „Lord Edmond. Bitte legen Sie die Bilder wieder hin. Sie sind unfertig und unverkäuflich. Ich kann Ihnen auch weiß Gott nicht erklären, was in meinem Kopf vorging, als ich diese Szene gezeichnet habe.“ Thorolf klang entnervt.
    „Mögen Sie Spinnen nicht, Herr Treynstern?“ Die Frage war süß und unschuldig.
    Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
    „Nein, Lord Edmond, ich schätze Spinnen nicht.“
    „Schade. Sie sind so interessante Kreaturen. Perfekte Jäger. Wenn sich erst einmal jemand in ihrem Netz befindet, gibt es kein Entrinnen mehr. Sie lähmen ihre Opfer und saugen sie dann aus. Vielleicht nicht gleich beim ersten Mal. Vielleicht nicht bis sie sich nach einem guten Abendessen fühlen. Vielleicht eine ganze Weile nicht. Aber zum guten Schluss ist es doch unausweichlich. Geht es Ihnen nicht gut, Herr Treynstern? Es täte mir leid, wenn mein kleiner Ausflug in die Zoologie Sie beunruhigt hat. Biologie ist eines meiner besonderen Steckenpferde. Gute Güte, Künstler sind wirklich zart besaitet.“
    „Mir geht es ausgezeichnet. Danke der Nachfrage.“
    „Gut. Ich würde es mir nicht verzeihen, Sie beunruhigt zu haben. Haben Sie schon mit meinem Auftragsbild angefangen?“
    „Nein. Ich hatte heute viel zu tun, und ich werde etwas Ruhe und Frieden brauchen, um eine so schwierige Aufgabe anzugehen.“
    „Aber das Leben, lieber Treynstern, ist weder ruhig noch friedlich. Der Tod vielleicht. Aber nicht das Leben. Es ist entschieden zu gefährlich, um je eine solche Bezeichnung zu verdienen. Wir, die wir die Erkenntnis erlangt haben, dass das Leben voller tödlicher Stolpersteine und Fallen ist, wir haben das Recht verwirkt, das Dasein als ruhig und friedlich zu erleben. Haben Sie eine Katze?“
    In ihrem Versteck erschrak Catty fast zu Tode. Warum fragte er das? Spürte er sie so deutlich – und was meinte er nur mit all den Gefahren und Stolpersteinen? Sie merkte, wie Thorolf sich gegen diese Worte auflehnte.
    „Gewiss nicht. Ich besitze keine Katze. Vielleicht hat ein Nachbar eine?“
    Er log. Catty wusste nicht, warum, war aber unglaublich dankbar dafür. Sie wollte dem Mann nicht als Katze begegnen. Nicht als Katze und auch sonst nicht. Gar nicht. So wie er mit Thorolf sprach, erschien er weit weniger nett als er ihr zuvor erschienen war.

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