Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
auch wieder schließen, doch ihre Fertigkeiten reichten dazu nicht aus.
Sie spürte Thorolfs amüsiertes Erstaunen. Sie hörte, wie er aus dem Wohnzimmer ging, um die Tür zu öffnen, und wünschte sich, ihn aufhalten zu können. Vielleicht würde es ihr gelingen, wenn sie schnell genug wäre. Diesen Besucher sollte er nicht einlassen. Sie konnte schwarze Nacht von den Wänden fließen spüren wie heißen Teer. Es war mitten am Tag, und sie spürte die Dunkelheit. Ein starkes Gefühl und beinahe schmerzhaft.
Sie rannte aus dem Schlafzimmer, galoppierte, sprang, flog fast dem jungen Mann hinterher, der so in seine eigenen Sorgen verstrickt war, dass er die Gefahr nicht wahrnahm. Sie schoss zwischen seinen Beinen hindurch, und er stolperte fast. Sie schlidderte auf dem gewachsten Holzboden und schlug gegen die Wohnungstür, gerade so, wie sie zuvor gegen die Wand geflogen war.
Sie jammerte vor Schmerz, und er hielt irritiert inne, trat einen Schritt vor und hob sie wieder auf.
„Was ist denn los?“, fragte er freundlich, doch sie wand sich aus seinem Griff und achtete peinlich genau darauf, ihn dabei nicht zu kratzen. Er würde die Tür öffnen und die Kreatur, die draußen lauerte, einlassen. Er würde nicht auf sie hören, würde ihre Sorge nicht verstehen, und sie konnte ihm nicht kommunizieren, dass er sich verbergen sollte. Sie wollte keine Katze mehr sein. Sie wollte eine Stimme haben, eine Hand, einen Arm, um ihn zurückzuhalten.
Sie wollte wieder ein Mädchen sein.
Sie wäre als Mädchen noch sehr viel hilfloser gewesen, das war ihr klar. Ihre Katzenschläue, ihre Instinkte hatten sie bislang beschützt. Catty, die Katze fand sich in der Welt weitaus besser zurecht als Catty, das Mädchen, und Catty die Katze fand, dass es angebracht war, sich zu verstecken. Er musste seine eigenen Kämpfe ausfechten. Er war groß und stark und außerdem ein Mensch. Sie war nur eine kleine Katze.
Sie warf Thorolf einen letzten ängstlichen Blick zu und rannte zurück durch das Wohnzimmer. Durch die offene Tür. In sein Schlafzimmer. Unters Bett. In die hinterste, dunkelste Ecke.
Sie bebte.
Sie hörte, wie sich die Tür öffnete, und eine Woge aus Macht erfasste sie und ließ ihr das Fell hochstehen. Fast konnte sie die Funken daraus sprühen sehen. Wenn sie jetzt jemand anfasste, würde er das bereuen. Wenn sie jetzt jemand berührte, würde sie explodieren. Sie versuchte krampfhaft nicht zu erbrechen. Sie wünschte sich, sie wäre ein Igel und könnte sich in eine feste Kugel zusammenrollen und die Stacheln gegen die Welt ausfahren.
Zu viele Dinge waren an diesem Tag geschehen und geschahen immer weiter. Sie hatte Angst, und sie sollte sich wirklich nicht unter Thorolfs Bett übergeben. Er würde es nicht mögen.
Sie hörte, wie Thorolf den Besucher hereinbat. Seine Stimme klang ein wenig angesäuert, doch er wusste, was sich gehörte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie die schwarze Aura sich ausdehnte, wie eine Pfütze zähflüssiger Farbe, wie ein Sumpf unbeantworteter Fragen.
Sie wand sich, versuchte, sich noch weiter zurückzuziehen. Sie hörte kaum die Worte.
„Ich störe Sie doch hoffentlich nicht, Herr Treynstern?“, fragte eine höfliche Stimme. Sie war tief und samtig, und Catty wusste, wem die Stimme gehörte.
„Nein. Bitte treten Sie ein, Lord Edmond. Es tut mir leid, ich war auf Besuch nicht vorbereitet.“
Schritte im Wohnzimmer. Was sollte sie nur tun?
„Ich wollte mir ansehen, wie Sie malen. Schließlich habe ich ein Bild bei Ihnen in Auftrag gegeben. Also dachte ich mir, warum den Künstler nicht in seinem Atelier besuchen? Das hier ist Ihr Atelier? Oder nicht?“
„Ich benutze es als Atelier. Hauptsächlich male ich allerdings an der Akademie. Ich fürchte, ich kann Ihnen noch nicht viel zeigen. Ich bin erst seit Kurzem hier.“
„Sie sind Anfänger.“
Die Stimme klang höflich, dennoch war es eine Beleidigung. Catty spürte, wie ihr menschlicher Freund darauf reagierte.
„Das stimmt. Ich dachte, Sie wüssten das. Möchten Sie unsere Abmachung rückgängig machen?“
„Keineswegs. Die Abmachung bleibt bestehen. Doch ich unterbreche Sie bei irgendetwas. Sie sind nicht allein?“
„Sie unterbrechen mich bei nichts, Mylord, und ich bin allein. Ich teile diese Behausung mit einem Studenten der Naturwissenschaften, doch er ist nicht da. Studiert.“
Eine kleine Pause.
„Ich dachte doch, ich hätte etwas gefühlt … gehört …“
„Sie haben sich geirrt. Tut mir leid.“
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