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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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ungewöhnlichsten historischen Gewänder trugen. Doch Karneval war lang schon vorbei, und er hätte ganz sicher nicht dieses Kostüm gewählt. Dass er lächerlich aussah, war noch das Harmloseste, was man sagen konnte. Im Grunde war das Gewand schon eher unanständig. Er zupfte an der Seide und versuchte, sie so zu verschieben, dass sie mehr von seiner blassen Haut bedeckte. Ihm wurde bewusst, was für wunderbare Kleidungsstücke doch Hosen waren.
    Ein Kichern erschallte von irgendwo her, und er blieb stocksteif stehen.
    „Ist da jemand?“, fragte er, und seine Stimme hallte durch das Tal. Trotz des warmen Wetters liefen ihm kalte Schauer über den Rücken.
    „Hallo?“, fragte er noch einmal und war sich nicht sicher, ob er in seinem gegenwärtigen Zustand jemanden treffen wollte. Doch er würde lieber jemandem begegnen als aus dem Hinterhalt beobachtet zu werden.
    Er sah an sich hinab, um sicherzustellen, dass das Seidentuch auch lang genug war, um das Auge des Betrachters nicht allzu sehr zu beleidigen. Er hoffte, dass der Stoff so um ihn geschlungen war, dass ihm wenigstens etwas Würde blieb, doch dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt.
    Stattdessen entdeckte er, dass ein tiefer Schnitt über seiner Brust Haut und Fleisch teilte. Er blutete nicht. Es tat nicht einmal weh. Doch man konnte ungehindert bis auf sein Herz sehen, das so weit freigelegt war, als hätte jemand mit einem Metzgermesser die Schichten darüber zerteilt. Er konnte sehen, wie es schlug. Irgendeine Flüssigkeit tröpfelte langsam hervor. Kein Blut, nur eine schattige, schwammige Substanz.
    „Großer Gott!“, rief er und begriff, dass ihm die Seele aus dem Körper troff. Er presste die Hände gegen die Wunde, versuchte sein innerstes Sein wieder in seinen Körper zurückzuschieben. Seine eigene Berührung brannte auf dem rohen Fleisch. Seine Kehle zog sich vor Entsetzen zusammen.
    Reglos stand er da, konzentrierte sich auf die Situation, versuchte, sie mit seinem geschulten Geist zu erfassen.
    Er wusste nicht, wie er hierher geraten war, warum er halbnackt durch die Nacht lief oder wo er war. All dies war mehr als nur unwahrscheinlich. Seelen flossen einem nicht einfach so aus dem Körper. Seelen konnte man nicht einmal sehen, sie waren kaum mehr als eine Idee, ein religiöses Konzept. Dass er eine besaß, bezweifelte er allerdings nicht. Er erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, als man sie ihm vor einigen Nächten aus dem Körper gesogen hatte, und er entsann sich auch des Gefühls, sie wieder in den Körper eingespeist zu bekommen.
    Eine Seele war ein Besitztum, das gestohlen werden konnte, und in diesem Tal mochten gut und gern Diebe lauern.
    Er sah sich voller Panik um. Das dunkle Gestrüpp konnte eine beliebige Anzahl Riesenspinnen verbergen. Die schwarzen Äste sahen gerade so aus, als mochten sie die Beine dieser Wesen sein, die hier auf ihn warteten.
    Was tun? Sollte er fliehen? Wenn er floh, wohin? Den Bergen entgegen? Fort von dem Pfad und ins Gebüsch? Oder weiter zur Schlossruine, deren Bauten ihm den Blick auf das Kommende nehmen mochten? Als Mensch tendierte er dazu, zu einem Gebäude zu laufen, das immerhin eine Art von Zivilisation darstellte.
    Inzwischen hatte er einige Augenblicke reglos verharrt, wie festgewurzelt vor Angst und vor Scham. Ein warmer Sommerwind berührte Teile seines Körpers, die sonst nicht der Witterung ausgesetzt waren, und er sehnte sich nach einem Beinkleid – und Unterbekleidung. Die Situation überforderte ihn, er hatte keinerlei Bezugsrahmen, nach dem er vernünftige Entscheidungen hätte fällen können. Seine Erziehung hatte ihn auf so etwas nicht vorbereitet. Tatsächlich hatte seine Erziehung, unendlich normal und langweilig wie sie gewesen war, ihn auf nichts von alldem vorbereitet, was das Leben in den letzten Tagen für ihn bereitgehalten hatte. Er brauchte Hilfe.
    Gänzlich gegen seine Überzeugung formten seine Lippen die Worte: „Vater? Bitte?“
    Keine Antwort. Das Wort hallte durchs Tal, verlor sich im Gesträuch. Graf Arpad hätte er sagen sollen. So hieß der Mann. Der Vampir. Solange Thorolf bewusst darüber nachdachte, war er noch keinesfalls bereit, die verwandtschaftliche Beziehung einfach so anzunehmen. Doch die Angst in ihm ließ ihn andere Entscheidungen treffen.
    „Vater? Hörst du mich? Bist du hier irgendwo?“
    Sein Vater hörte ihn nicht. Oder es war ihm egal. Vielleicht war das alles ja auch nur eine Art seltsame Prüfung? Man setzte den Bastard in ein

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