Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
arroganten Manieren eines Aristokraten, der auf seine Abstammung allzu stolz war. Es war schwer vorstellbar, aber vermutlich nicht abwegiger als ein plötzlicher Vater, der seine Fänge in unschuldige Opfer bohrte und ihr Blut trank. Oder als er selbst in seiner Andersartigkeit, auch wenn diese nicht besonders ausgeprägt sein konnte, denn sonst hätte er sie doch längst selbst festgestellt. Oder nicht?
Die Frage quälte ihn. Sie tauchte immer wieder in seinen Gedanken auf. Niemand hatte je Verdacht geschöpft, nicht einmal er selbst. Wenn er wirklich der Sohn eines Vampirs war, sollte er nicht auffallend anders sein, unheimlicher, seltsamer und gefährlicher? Der Gedanke, Blut zu trinken, war ihm widerlich. Natürlich war ein wenig sanftes Beißen schon auch Teil des Liebesspiels, aber das war wohl kaum ungewöhnlich, und keine der Damen hatte sich je beschwert.
Sein Gedächtnis wiederholte ihm die Szenen einiger leidenschaftlicher Begegnungen mit dem schönen Geschlecht. Entzückende Erinnerungen. Langsam sank er in den Schlaf.
Da war Lena, splitternackt und willig. Sie stand vor ihm, öffnete den Mund, und mit einem Mal war er ein Spinnenmaul. Ihre Augen verwandelten sich in Spinnenaugen, und das Gesicht auf der anderen Seite des Kopfes feixte. „Du kannst dich nicht vor mir verstecken“, sagte es. „Nichts kannst du vor mir verstecken.“
Zwei blutrote Lippenpaare lächelten abfällig. „Dummer Halbblutbastard. Glaubst wohl, du bist etwas Besonderes? Bist du nicht. Ich habe deine Seele gekostet. Getrunken und wieder ausgespuckt habe ich sie. Du bist nichts weiter als ein halbgegessenes Abendessen. Küchenreste. An deinem Sein habe ich gekaut. Zu leicht, Menschenwesen, viel zu leicht. Du siehst nicht, was vor dir ist, du siehst nicht, was hinter dir lauert, und du hast nicht die geringste Ahnung, was in dir steckt.“
Thorolf sprang von der Bestie fort, bebte vor Entsetzen. Es konnte nicht hier sein. Nicht so nah.
Es sprang noch einmal und durchmaß die Wirklichkeit.
Die Welt verwirbelte, und er fand sich in silbrigem Dunkel wieder, wach, plötzlich im Freien. Der Vollmond schien auf ihn hinab und erleuchtete die schwarze Welt um ihn herum gerade so weit, dass er seine Umgebung wahrnehmen konnte. Er war barfuß. Mehr noch, er war nackt bis auf eine weiße Seidentoga, die in ordentlichen Falten um seinen Körper drapiert war. Seine Beine bedeckte sie nicht, eine Schulter blieb frei, und überhaupt schien sie mehr Schmuck als Kleidungsstück zu sein. Die Sommernacht prickelte auf seiner Haut. Er berührte sein Haar. Ein Lorbeerkranz war in seine Locken geflochten. Peinlich. Lächerlich. Warum war er so verkleidet? Er zog an dem Blättern im Haar, doch sie waren fest damit verwoben.
Um ihn herum erhoben sich hohe, zerklüftete Berge, deren grauer Fels im Nachtlicht schimmerte. Er stand in einem Tal, das von runden Felswänden eingeschlossen war. Unter seinen Füßen fühlte er weiches, moosiges Gras. Tau benetzte seine Haut. Hohe Bäume und Büsche wiegten sich in einem sanften, ja geradezu perfekten Wind.
Er fühlte sich ungeschützt in seiner spärlichen Bekleidung und sah sich suchend nach mehr Erkenntnissen über seinen Aufenthaltsort um. Wie war er hierher geraten? Warum war er wie ein Jüngling aus einer der idealisierten, neogriechischen Fresken des verblichenen großen Cornelius gekleidet? Warum fühlte er die Sommerhitze so deutlich – im April? Die Wärme war angenehm auf seiner Haut.
Der Weg führte zu einer alten Schlossruine. Sie sah romantisch aus, doch auch irgendwie beunruhigend. Ideal zum Malen. Die hellgrauen Steine glitzerten im Sternenlicht. Ionische Säulen ragten nutzlos und grundlos auf. Alle Linien waren wohlgesetzt, vermittelten nicht den Eindruck von zufälligem Verfall, sondern eher wie etwas, das ein allzu eifriger Landschaftsgestalter bewusst genau so konzipiert hatte. Jemand hatte eine romantische Ruine haben wollen und hatte eine gebaut wie nach einem genau abgezeichneten Ruinenplan. Irgendwo gab es gewiss einen Säulengang, und er war sich sicher, dass auch eine Venusstatue ihren Platz hatte und vermutlich ebenso gänzlich anachronistische Wasserspeier. Die Perfektion des Konzeptes konnte er gutheißen, doch sie kam ihm gefälscht vor. Das ganze war eine Kulisse, nicht mehr als Bühnenhintergrund.
Ihm wurde plötzlich klar, dass er ganz und gar nicht zivilisiert gekleidet war. Er wusste, dass Leute auf Faschingsfeiern der Münchner Künstlergesellschaft die
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