Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
nicht würdig. Einer jungen Dame auch nicht, die sich gerade für einen Gentleman geopfert hatte. Für zwei sogar.
Lucilla war keine Hexe. Catty war auf einmal sicher, dass Hexen im Grunde recht nett waren und Katzen mochten. Lucilla war anders. Sie surrte an den Ausläufern von Cattys Wahrnehmung und machte auf beinahe schmerzhafte Weise die Welt zu ihrem Reich. Lucillas Revier. Einfach alles war Lucillas Revier. Selbst der Mann, den sie so anbetungswürdig gefunden hatte und der sich dann als ein gänzlich unglaublicher monströser Unhold herausgestellt hatte, war nicht frei von ihrer Macht. Bisweilen fand Catty es schwierig zu atmen, denn selbst die Luft gehörte Lucilla. Alles gehörte ihr, das Haus, die Straße, die Stadt, und ihr Vater natürlich auch.
Catty war mit Lord Edmond durch die Wolken gegangen. Seine Hand hatte ihren Oberarm gehalten, und er hatte sie durch Gefilde geführt, die so anders und unirdisch waren, dass sie weder oben noch unten unterscheiden konnte und keinerlei Orientierung hatte. Fast war sie dankbar für seine herrschsüchtige Berührung gewesen, denn ohne sie wäre sie verloren gegangen. Dies war nicht ihr Revier und konnte es auch nicht sein. Nicht einmal ihre Welt war es. Sie hatte nicht die leiseste Vorstellung, was genau es sein könnte, der Vorhof zur Hölle, oder der Garten vorm Fegefeuer. Oder irgendetwas gänzlich anderes, auf das keine Unterweisung, sei sie fromm oder wie auch immer geartet, sie je vorbereitet hatte.
Der seltsame Ort war von gleißender Schönheit und doch karg. Er kam ihr vor wie das Ausgangsmaterial, aus dem ein mächtiger Geist sein Reich formen mochte, ganz nach seinem höchsteigenen Belieben – sollte ihm je danach sein. Ihr wurde ganz plötzlich klar, dass dieser Geist nicht Lord Edmond gehörte. Er war wohl kein Fremder hier, doch es war nicht sein Reich. Er lebte in einem mondbeschienenen Tal, mal als Mensch und mal als Spinne.
Wie ein Liebender hatte er ihr Gesicht in die Hände genommen, zärtlich, sanft, und ganz gegen ihren Willen hatte sie angefangen, sich zu wehren, hatte seine unsichtbaren Krallen erfühlt, das Spinnenmonster hinter der Fassade des freundlichen Mannes, für den ihr unerfahrenes Mädchenherz geschlagen hatte. Er hatte gewusst, wie ausgedörrt nach etwas Zuwendung sie gewesen war. Sie hätte sich vermutlich in fast jeden verliebt, der nett war. Nur war er das nicht.
Sie hatte sich gewehrt aus Angst, dass er sie wieder küssen wollte, dass er ihren Zustand der völligen Nacktheit ausnutzen würde. Ein Fieber hatte mit einem Mal in ihrem Leib gebrannt, flammte durch ihre Knochen, und einige Momente später hing sie hilflos in seinen Händen, gehalten am Nacken. Sie war wieder eine Katze, und als Katze betrat sie wieder ihre Welt und ihr Zuhause und wurde in einen Käfig verbannt.
Sie versuchte, sich zu bewegen, doch es gelang ihr nur, den Käfig zum Scheppern zu bringen. Die Drahtstreben schoben sich gegen den Strich durch ihr Fell. Der Mann – oder was immer er sein mochte – hatte sie in einen Vogelkäfig gepackt. Das war an sich schon eine unfassbare Beleidigung.
Sie wusste, wo sie sich befand. In Miss Colpins Kammer. Warum er sie gerade dorthin verfrachtet hatte, wusste sie nicht, doch es schien zumindest anzudeuten, dass auch die Gouvernante in diese Sache verwickelt war.
Sie versuchte erneut, sich zu bewegen, und eine der kleinen Streben knackte. Das machte ihr Hoffnung. Sie stemmte die Pfoten gegen die eine Seite des Käfigs, und buckelte ihren Rücken gegen die andere Seite.
Schwach wie ein Kätzchen war kein schlechter Vergleich. Ärgerlich war das. Gefangen in einem verflixten Vogelkäfig. Sie konnte sogar noch den Vogel riechen, der irgendwann einmal darin gewohnt hatte. Immerhin war es ihr Vogel gewesen, vor langer Zeit. Dennoch gab ihr ihr Geruchssinn eine deutliche Erklärung: Kanarienvogel, gelb, wohlschmeckend. Sie wollte sich anschleichen, ihn fangen und damit spielen.
Widerlich. Sie schalt sich für den Gedanken. Kanarienvögel zu essen war ein Ding der Unmöglichkeit. Ganz besonders, da gar keine da waren. Vögel sangen draußen, sie konnte sie hören. Es war Frühling, es war Morgen, die Luft außerhalb des Hauses war voller Geflügel. Vögel. Sie hatte Vögel gemeint. Süße, kleine singende, tschilpende Kreaturen.
Ihr Magen knurrte. Am Abend zuvor hatte sie wenig gegessen, und all die Dinge, die ihr passiert waren, hatten sie hungrig gemacht. Man würde sie doch hoffentlich nicht hier darben
Weitere Kostenlose Bücher