Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
zu spät dran. Er musste mit Sutton reden, der von hier direkt dorthin geeilt war, um Dinge zu recherchieren, und er musste auch unbedingt wieder in die Bibliothek und dort selbst weiterforschen. Dabei sollte er am allerbesten auch noch ruhig und konzentriert wirken.
Er lief in seine Kammer und wühlte in der Schublade. Einer der Beamten folgte ihm. Vermutlich sollte er irgendwelche Tricks verhindern. Ian hörte außerdem, wie einer in Thorolfs Zimmer ging.
„Hier!“ Ian streckte die Hand mit einem Stapel Dokumente aus, die er mit einem Band zusammengebunden hatte. „Das ist mein Pass, und das ist ein Schreiben seiner Exzellenz des britischen Botschafters in Bayern, in dem er um Genehmigung ersucht, dass ich hier studieren darf. Außerdem ist hier ein Erlaubnisschreiben der Bayerischen Gendarmerie, dass ich mein Studium in München antreten darf.“
„Was studieren Sie?“
Ach je.
„Ich absolviere ein Studium Generalis am Aroria-Institut für gehobene Studien.“
Das klang einigermaßen normal.
„Ihr Wohnungsgenosse ist Maler?“ Das war weniger eine Frage als eine geringschätzige Beurteilung.
„Richtig. Die Münchner Kunstakademie hat ihn als Studenten angenommen. Er ist sehr talentiert.“
„Ist er das?“ Die Frage war ausgesprochen trocken. Offensichtlich erfreute sich Thorolf keiner großen Beliebtheit bei diesen Herren.
„Meine Herren, was ist denn geschehen? Ist etwas mit Herrn Treynstern? Gibt es etwas, das ich wissen müsste?“
„Er hat gestern Nacht auf abscheulichste Weise eine junge Frau angegriffen und schwer verletzt. Mit einem Messer.“
Ian starrte den Mann an und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
„Warum sollte er so etwas tun?“ Die Frage platzte heraus, ehe er sich noch zurückhalten konnte. Es war eine logische Frage, doch nur für jemanden, der Thorolf und seine Prioritäten kannte. Zu seiner Mutter hatte er gewollt. Seinen Vater hatte er gesucht, und schließlich und endlich hatte er Catty finden wollen.
Hatte er Fräulein Lybratte gefunden und sie verletzt? Die Szene in seiner Kammer hätte durchaus schlimm enden können, wenn Ian sie nicht unterbrochen hätte. Er hatte das Rasiermesser auf dem Bett liegen sehen. Der musste es wohl in der Hand gehabt haben. Dennoch konnte er es nicht glauben, solange das arme Mädchen nicht doch etwas anderes als eben ein armes Mädchen war. Eine Chimäre, ein Monster, ein finsterer Angreifer, so wie Thorolf es befürchtet hatte. Möglich war das. Doch Ian konnte das Fey-Element in Thorolf spüren. Wenn das Mädchen kein Mensch gewesen wäre, so hätte er das sicher auch bemerkt. Sofern Catty nicht die Kunst besaß, sich zu tarnen.
Er erhielt keine Antwort.
„Wo waren Sie letzte Nacht?“
Lieber Gott. Über ein Alibi hatte er noch gar nicht nachgedacht. Konnte er sagen, dass er unterwegs gewesen war, um ein Mädchen zu finden, das man vielleicht aus ihrer beider Wohnung entführt hatte – oder auch nicht? Wie würde das klingen? Von der Katze zu erzählen war undenkbar. Dass sie letzte Nacht ein Mädchen bei sich gehabt hatten war auch verdächtig und zudem verboten, denn es war nicht volljährig, und Ian wusste nicht, wie die Sittlichkeitsgesetze in diesem Land lauteten. Auf keinen Fall wollte er für die Art Mann gehalten werden, die sich auf so etwas einließ. Er brauchte seinen guten Leumund, ganz besonders als Ausländer. Schon gar als Logenbruder. Noch mehr Ärger mit Mädchen – oder immerhin einem Mädchen – oder mit Liebesgeschichten, war nichts, was er brauchen konnte.
„Nun, ich habe zuerst ein wenig gelernt, und dann bin ich zu …“ Wie nannte man geschickterweise einen Adepten des Arkanen? „… einem Referendarius meiner Schule gegangen, der mir versprochen hatte, mir bei einem bestimmten Problem zu helfen. Einem Studienproblem.“
Klang das plausibel? Er blickte dem Inspektor in die Augen und sah Zweifel. Der Mann war kein Idiot. Schade. Ian wünschte, er wüsste mehr darüber, wie man Menschen mittels der arkanen Künste manipulierte. Doch wenn es um die Manipulation mithilfe der arkanen Künste ging, war er im Allgemeinen der, der sie abbekam, und nicht der, der sie anwandte.
„Wie fleißig“, bemerkte der Polizist trocken. „Wie lange sind sie dort geblieben?“
„Ziemlich lange. Wir haben ... sind ins Gespräch gekommen, und er hatte einen sehr guten Wein …“
Studenten waren für ihre Saufgelage bekannt. Sich mit anderen jungen Männern volllaufen zu lassen schien allemal harmloser, als
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