Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
sollte es ihr auch entgangen sein? Frauen zu unterschätzen war in reinen Männergemeinschaften eine wohlgehütete Tradition.
„Der Tee schmeckt furchtbar.“
„Es ist Medizin. Bitter auf der Zunge, aber herzstärkend. Sie suchen eine Katze?“
Sie stand nun zwischen Ian und Sutton. Alle drei blickten aus dem Fenster, und Ian konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie alle drei etwas zu verbergen hatten.
Er blickte über das Kopfsteinpflaster hinweg, wo Karren und Kutschen in nicht unerheblicher Zahl unterwegs waren. Das Logenhaus stand nicht in einer ruhigen Hinterstraße, sondern direkt an einer der geschäftigen Hauptstraßen, die durch die Maxvorstadt hinaus gen Nordwesten führte. In einem Block neuerer Gebäude, von denen die Hälfte öffentliche Einrichtungen waren, fiel das große, aber äußerlich eher unauffällige Logengebäude nicht weiter ins Gewicht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es einige Mietshäuser, die meisten ziemlich neu. Aroria legte Wert auf den Anschein vollkommener Normalität.
Er sah, wie die Katze aus einem Fenster gegenüber sprang und durch die Luft flog, und konnte einen überraschten Aufschrei nicht unterdrücken.
„Was ist?“, fragte Sutton.
„Da! Das ist Catty! Wie ist sie nur hier rausgekommen? Wo kann sie gewesen sein?“
Die Katze rannte auf das Logenhaus zu.
„Großer Gott! Das ist er!“, fluchte Sutton und wies auf einen weißhaarigen Mann, der direkt vor ihrem Gebäude stand und dessen Eingang musterte. „Ihr Freund!“
„Mein Freund? Den habe ich noch nie zuvor gesehen! Doch das ist ein …“ Er hielt gerade noch inne, bevor er das Wort aussprach, Feyon. Verdammt sollte sie sein, die Neugierde dieser Pflegerin! Doch er spürte es ganz deutlich, konnte es sehen, fühlen, ja beinahe riechen. Der Mann, der dort vor ihrem Haus stand, war kein Mensch.
„Schlimm!“, brummte die Krankenpflegerin. „Eine wirklich schlimme Sache!“
Die Katze rannte direkt auf das Haus zu, und Ian kletterte aufs Fensterbrett, gefolgt von Bruder Sutton. Das Erdgeschoss war nicht allzu niedrig, damit Passanten nicht zufällig in die Fenster blicken konnten, doch es war flach genug, um zu springen. Er sprang.
„Warten Sie!“, flüsterte Sutton, und Ian konnte weitere Geräusche hinter sich ausmachen.
Der Weißhaarige stand mit dem Rücken zu Ian und hielt den Blick auf die sich nähernde Katze gerichtet. Da war sie auch schon, sah ihn, als sie ihn beinahe erreicht hatte, versuchte noch anzuhalten. Ihre Panik war weithin fühlbar, stand fast physisch im Raum. Die Katze warf ihren ganzen beweglichen Körper herum, kleine Krallen kratzten über Steinboden, und schon war sie in der entgegengesetzten Richtung unterwegs, ohne noch um sich zu blicken. Doch nun fand sie sich zwischen den riesigen Hufen belgischer Brauereipferde wieder. Gigantische Hufeisen knallten auf die Straße, und die kleine Katze sprang und wand sich zwischen ihnen. Sie jaulte und schrie, fand keinen Weg aus dem Labyrinth von vierundzwanzig tödlichen Hufen, die den Boden um sie herum erschütterten und sie in wenigen Augenblicken zu Matsch treten würden.
Der Kutscher ließ die Pferde nicht einmal langsamer laufen. Falls er die Not des kleinen Lebewesens vor sich überhaupt wahrnahm, machte es ihm offenbar nichts aus, dass die Stadt gleich eine Katze weniger haben würde.
Dann standen die Pferde ganz still. Eine Dame in einem eleganten Kleid hielt das Halfter des ersten Pferdes in der Hand. Glänzende Blondlocken flatterten im Wind unter einer modischen Hutkreation, deren weiße Federn fast wie Flügel wehten.
„Hierher!“, befahl sie mit einer klaren Stimme, die scharf durch den Tag schnitt. Die Katze machte einen behutsamen Schritt auf sie zu.
„Hurtig. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“
Widerwillig kroch die Katze auf die Dame zu, wirkte wie ein geprügelter Hund.
Die vornehme Dame nahm sie hoch, wandte sich um und blickte kalt den Weißhaarigen an.
„Wieder ein Fehler von dir?“, sagte sie, und ihr Lächeln erinnerte Ian an einen Fleischwolf. „Hast du wenigstens gefunden, was du gesucht hast?“
„Fast.“
„Das muss warten. Uns geht die Zeit aus. Komm jetzt. Geh voran, mach auf!“
Die Welt öffnete sich zu einem Spalt. Ian stand wie erstarrt zwischen den Energielinien, die plötzlich um ihn zu Tauen erstarkten. Er fühlte sich eingeengt und merkte erst mit Verspätung, dass sowohl Sutton als auch die Pflegerin ihn festhielten, indem sie ihn zwischen sich
Weitere Kostenlose Bücher