Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
schlecht verhohlene Bewunderung ihre Stiefmutter noch ungehaltener machte. Also versuchte sie, den Blick woanders hin zu lenken. Doch München sah aus, wie München eben aussah, und obgleich sie wusste, dass die Stadt in den letzten fünfzig Jahren vieles an eindrucksvoller Architektur und prachtvollen Boulevards hinzugewonnen hatte, gelang es ihr nicht, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren.
Sie saß neben Lucilla in Fahrtrichtung, Lord Edmond mit dem Rücken zum Kutscher ihnen gegenüber. Also war es schwierig, ihn nicht anzusehen. Seine grauen Augen waren umrahmt durch lange, schwarze Wimpern. Sein Lächeln drückte ein einzelnes Grübchen in eine seiner Wangen. Sein sinnlicher Mund ließ ihn ein wenig aussehen wie einem alten Fresko entstiegen, beinahe engelhaft.
Irgendetwas war an ihm ... ihr Körper erschauerte in Vorfreude. Sie wollte geben, doch wusste sie nicht was. Sie wollte allein mit ihm sein. Das war natürlich gänzlich unmöglich und völlig skandalös. Dennoch verspürte sie das unbändige Verlangen, ihn zu berühren.
Dumm. Es war dumm. Nicht einmal ihre Knie waren einander nah, obwohl ihr weites Kinderkleid eine Menge Platz einnahm und der Saum manchmal gegen seine Beine kam. Sie errötete, wenn das geschah, als ob sogar dieser triviale Kontakt sie irgendwie verbinden würde. Dann aber hasste sie ihr Kleid wieder, weil es sie als kleines Mädchen darstellte und nicht als die junge Frau, die sie ihrer Meinung nach war. Sie wünschte sich, sie wäre nicht so klein und dürr. Doch dann sähe sie in dem Kinderkleid nur noch lächerlich aus. Es war viel zu kindlich für sie.
Wahrscheinlich nahm er sie als Kind wahr. Sie wünschte sich, er möge in der Lage sein, jenseits des Rahmens zu blicken, gleichermaßen durch das Kleid hindurch. Dann wurde sie knallrot, als ihr die Aussage ihres eigenen Gedankens bewusst wurde.
Genau in diesem Augenblick lächelte er sie an, und Lucilla befahl die Rückkehr nach Hause, weil es an der Zeit war.
Er verabschiedete sich an der Tür, beugte sich so tief über ihrer Hand, dass sie seine Lippen beinahe spüren konnte, doch nicht ganz. Sie fühlte seinen warmen Atem.
Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, drängte Lucilla sie in den Frühstücksraum, schloss die Tür und legte mit einer frostklirrenden Strafpredigt los.
„Du wirst diesen Mann nie wiedersehen! Wenn er ins Haus kommt, gehst du sofort auf dein Zimmer. Wenn ich dich noch ein einziges Mal allein mit einem Mann in einem Zimmer finde, ganz besonders mit diesem Mann, dann wird es dir sehr leid tun. Es gibt genügend strenge Pensionate, die sich darauf spezialisieren, Mädchen, die sich nicht benehmen können, den richtigen Schliff zu geben. Ich habe keine Skrupel, dich in ein solches zu schicken, wenn ich sehe, dass du mir nicht gehorchst. Dein Verhalten war ganz unglaublich. Unglaublich. Du hast diesen Mann angestarrt, auf eine Weise … Was er von dir halten muss, ist nur allzu deutlich. Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass sich meine Tochter wie ein Straßenmädchen benimmt. Wenn du denkst, ein Gentleman seines Ranges würde es auch nur in Erwägung ziehen, eine bürgerliche Braut heimzuführen – dazu eine, die noch ins Kinderzimmer gehört – dann irrst du gewaltig. Ich werde ganz gewiss nicht dabeistehen und zusehen, wie du dich zur Närrin machst und uns alle in einen Skandal ziehst. Dein Vater wäre entsetzt von deinem Benehmen, und jeder andere auch.“
Catrin sagte nichts. Es gab nichts, das sie hätte sagen können. Die Schelte war bitter und schnitt ihr tief in die Seele. Doch sie war sich durchaus bewusst, dass sie gefehlt hatte. Nicht alles, was man ihr vorwarf, war ungerecht. Sie hatte sich tatsächlich schlecht benommen. Sie sollte sich schämen. Doch statt Scham fühlte sie nur Verlust. Er war fort, und sie würde ihn nicht wiedersehen.
„Hast du verstanden?“, fragte Lucilla.
Sie nickte.
„Ja. Es tut mir leid.“ Es tat ihr wirklich leid. Es tat ihr leid, dass sie sich zum Narren gemacht hatte. Es tat ihr nicht leid, dass sie Lucilla verärgert hatte. Lucilla war so gut darin, sich zu ärgern, dass der eigentliche Grund dafür vermutlich weitgehend unerheblich war. Manchmal erschien es Catrin, als ob es ihrer Stiefmutter Freude bereitete, ärgerlich zu sein.
„Gut. Ich habe Vorkehrungen getroffen, damit du nicht etwa unbeaufsichtigt das Haus verlässt. Versuche es nicht mal. Es ist mir bitterernst. Du würdest die Konsequenzen nicht mögen. Das kannst du mir
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