Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
glauben. Du hast keine Vorstellung davon, wie ungemein drastisch ich werden kann, wenn man nicht auf mich hört. Ich kann mir Strafen für dich ausdenken, auf die du nicht einmal in deinen Alpträumen selbst kommst. Also keine Dummheiten. Ich habe da meine Ressourcen.“
Catrin verstand, dass Lucilla offenbar erwartete, dass sie zu heimlichen Treffen schleichen würde. Das hatte sie gar nicht vorgehabt. Vielleicht sollte sie darüber tatsächlich einmal nachdenken.
Sie ging hinauf in ihre Kammer und schloss die Tür hinter sich. Dann setzte sie ihr Täschchen ab und packte es aus.
Sie konnte es kaum glauben, als sie das Briefchen fand. Wie hatte er das bewerkstelligt? Sie hatte nicht gesehen, dass er irgendwann ihre Tasche auch nur angefasst hatte.
Vorsichtig wandte sie sich von der Tür ab und öffnete den Brief.
„Süßeste Catrin“, stand da. „Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie mir vertrauen. Ich würde Ihnen gerne beweisen, dass ich Ihres Vertrauens würdig bin. Glauben Sie mir, ich würde Sie anders behandeln, als man Sie in Ihrem Heim behandelt. Fliehen Sie, meine Süße. Fliehen Sie in die Freiheit – und zu mir. Sie sind in Gefahr, und ich kann Sie schützen. Nehmen Sie nichts mit, es würde Sie nur behindern. Ich erwarte Sie um elf Uhr, gleich an der Ecke Ihrer Straße. Ich werde auf Sie achtgeben und für Sie sorgen. Ich liebe Sie. Edmond Roth-Crateley – PS: Verbrennen Sie diese Zeilen, bevor sie noch jemand findet.“
Wie hatte er das gemacht? Er konnte den Brief nur geschrieben haben, als sie und Lucilla im Laden gewesen waren. Er hatte draußen gewartet. Wer nahm Papier, Feder und Sand mit auf eine Ausfahrt? Sie musste ihr Interesse an ihm viel zu deutlich gezeigt haben, dass er ihr eine solche Einladung schickte. Er erwartete, dass sie sich in seinen Schutz begab. Er sagte, dass er sie liebte. Dass er sie heiraten würde, versprach er nicht.
Lucilla hatte recht. Catrin hatte tatsächlich den falschen Eindruck hinterlassen. Für was hielt er sie? Für eine Närrin? Für ein Kind, das zu unschuldig war, um zu wissen, welche Schande sie auf sich laden würde? Wozu machte ihn das? Zu einem Verführer? Zu jemandem, der schamlos ihre Unschuld ausnutzte? Oder war er ein Retter, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihr Leben zu verbessern? Letzteres versuchte sie zu glauben, wollte es unbedingt glauben, hielt sich dabei an der Erinnerung seines Lächelns fest. Es war ein so ehrliches Lächeln, so direkt, berührte einem das Herz. Jemand mit einem solchen Lächeln konnte vermutlich gar nicht hinterhältig sein.
Er liebte sie, hatte er geschrieben. Während sie das Papier in das Öfchen schob, das ihr Zimmer im Winter heizte, fragte sie sich, wie das sein konnte. Sollte er sie wirklich lieben? Er hatte sie nur zweimal gesehen, und jedes Mal in einem niedlichen Kinderkleid. Sie war nicht annähernd so schön wie Lucilla, und neben ihr verblasste sie zur Gänze. Er dagegen war so etwas Besonderes. Vermutlich konnte er unter den schönsten, reichsten und wohlgeborensten Damen wählen. Also warum sollte er sich sie, Catrin, aussuchen? Es schien ihr unvernünftig.
Jedenfalls würde sie nicht gehen. Es würde sie gesellschaftlich ruinieren. Selbst wenn sie manchen als dummes Kind erschien, war sie doch nicht gänzlich von allen guten Geistern verlassen.
Sie wusste um die Gefahren, die lauerten, wenn man sein Heim für einen Mann verließ. Eine andere Gefahr als diese konnte sie nicht feststellen, auch wenn er deren Existenz angedeutet hatte.
Er würde in seiner Kutsche warten, um die Ecke außer Sichtweite, und sie würde nicht kommen. Das würde ihm schon klarmachen, dass er sich in ihrem Charakter und ihrer guten Kinderstube gründlich getäuscht hatte.
Sie würde nicht gehen.
Sie konnte nicht gehen.
Natürlich wüsste er dann nicht, warum sie nicht gekommen war. Vielleicht würde er denken, sie mochte ihn nicht. Sie wollte nicht, dass er das dachte. Schließlich war es ganz und gar nicht wahr. Sie würde ihm ein Briefchen schreiben, das ihm erklärte, dass er ihr Benehmen missdeutete, nicht aber ihre Gefühle. Allerdings gab es keine Möglichkeit, ihm diesen Brief zukommen zu lassen. Außer sie überbrachte ihn selbst.
Das sollte sie tatsächlich tun. Sie würde sich hinausschleichen und ihm sagen, dass er sich in ihrem Charakter geirrt hatte, dass sie nicht mit ihm auf und davon laufen würde, dass sie nicht die Art von Mädchen war. Das würde er doch verstehen, oder nicht? Würde er
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