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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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begreifen, dass sie ihn nur ansehen musste, und ihr Körper stand in Flammen? Würde er verstehen, dass sie noch niemals für jemanden solche Gefühle gehegt hatte?
    Sie würde dann zurück ins Haus schleichen, und es würde ihm überlassen sein, ob er auf anständige Weise um sie freite oder ob sie ihm der Mühe nicht wert war.
    Beim letzten Gedanken holte sie tief Luft. Ihn zu verlieren wäre qualvoll. Sie kannte ihn kaum, doch ihn niemals wiederzusehen – der Gedanke zerriss sie beinahe. Er war so nett. Viel netter als alle anderen, zumindest in den letzten Monaten. Die wilde Musik, die er auf dem Klavier gespielt hatte, tönte noch in ihren Ohren. Sie erinnerte sich an den Traum. Geradezu prophetisch war er gewesen. Er bot ihr seinen Wein, und sie würde ihm ihre Liebe schenken. Er würde sie erobern, und sie wäre sein, nicht am helllichten Tag im Angesicht der Welt, sondern in der Nacht, unter den Sternen, in der Ruine und dem Schatten seines Grafenschlosses. Ungesetzliche, unmoralische Liebe. Sie würde ihn lieben, würde von ihm geliebt werden, er würde sie nehmen und behalten.
    Nur würde er das nicht, denn sie war eben nicht diese Sorte Mädchen und würde nur aus einem einzigen Grund zu ihm gehen: um ihm das zu sagen. Oder ihm einen erklärenden Brief in die Hand zu drücken. Wenn sie klug wäre, würde sie nicht einmal das tun. Wenn sie klug wäre, würde sie sein Schreiben gänzlich ignorieren.
    Es klopfte an der Tür, und Miss Colpin trat ein.
    „Deine Mutter hat mich angewiesen, dir Grundregeln im Umgang mit Herren beizubringen. Nach dem, was sie mir berichtet hat, kann ich nur annehmen, dass es dir an entsprechendem Wissen auf diesem Gebiet vollständig mangelt. Bitte folge mir ins Schulzimmer. Jetzt gleich.“
    Die Augen der Gouvernante musterten sie fast amüsiert.
    „Miss Colpin, ich bin müde. Es wäre mir lieber …“
    „Wertes Fräulein Catrin, die Wünsche deiner Stiefmutter waren eindeutig. Sofern du ihre Anweisungen nicht mit ihr ausdiskutieren möchtest, muss ich dich auffordern, jetzt mitzukommen. Ich bin sicher, es wird dir nicht unlieb sein zu lernen, wie man sich benimmt, damit nicht jeder Herr, den man trifft, in blankes Entsetzen ausbricht.“
    Entsetzt war er nicht gewesen. Doch das süffisante Lächeln, das Miss Colpin gegen sie richtete, war nur schwer zu ertragen. Die Gouvernante schien verärgert. Gleichzeitig schien sie allerdings auch seltsam zufrieden und belustigt. Wie sie beides zugleich sein konnte, ging über Catrins Verstand. Doch hätte sie die Verärgerung der Lehrerin mit größerer Gleichmut ertragen können als den verhohlenen Spott. Sie wirkte wie eine Katze, die mit einer erbeuteten Maus spielte. Catrin fühlte sich wie diese Maus.
    Sie ertrug die Säuredusche an Worten, die über sie hinwegwusch, mit defätistischer Duldsamkeit.
    „Man sollte meinen, in deinen fast achtzehn Jahren hättest du gelernt, dich wenigstens mit einigen Grundbegriffen an Anstand zu betragen. Die meisten Mädchen bräuchten wohl weniger lange.“
    Catrin hatte keine Lust auf noch einen Streit. Schon gar nicht wünschte sie eine erneute Diskussion mit der stiefmütterlichen Dame des Hauses, die ihren krallenbewehrten Wachhund einzusetzen wusste, um Diebe von der Speisekammer fernzuhalten.
    Also würde sie Miss Colpin folgen und ihr zuhören. Sie würde versuchen, nicht bei jeder spitzen Silbe zusammenzuzucken und sich verkriechen vor der Selbstzufriedenheit jener unglaublichen kalten Vollkommenheit, die trotz ihrer nicht zu leugnenden Schönheit letztlich nichts war als hässlich. Sie würde versprechen, ein solches Benehmen werde nicht mehr vorkommen. Sie würde die Reste ihres Stolzes zusammenraffen, wie einen Schutzwall gegen die Attacke, die sie schon vorab spürte.
    Noch vor elf Uhr in der Nacht würde sie durchs Fenster im Gesindetrakt nach draußen klettern, um ihm zu sagen, dass er sich in ihr getäuscht hatte. Sie konnte gerade so zielstrebig sein wie Lucilla mit ihren „Möglichkeiten“ – was immer diese auch sein mochten.
    Aus unerfindlichen Gründen fielen ihr gerade in diesem Augenblick die Schatten ein, die an der Außenwand ihrer Seele lauerten. Ein Lächeln meinte sie zu sehen. Man war glücklich in Schattenkreisen. Fröhlich und nah. Sehr nah.
    Sie schauderte. Sie musste nur in die Nacht hinausgehen, zu dem Mann, der sie liebte und der sie vor diesen Schatten beschützen würde. Ihr Herz riet ihr dringend zu dieser Maßnahme. Er mochte ihre einzige Rettung

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