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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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ein fehlender Hut war. Nicht zu vergessen die Handschuhe. Man würde ihr niemals glauben, dass sie dem Mann nur hatte begreiflich machen wollen, dass sie eben nicht so eine war.
    Vielleicht würden sie ja gar nichts über ihn herausfinden. Erzählen würde sie nichts, sonst würde man ihn nur für immer aus dem Haus verbannen. Sie würde ihn nie wiedersehen.
    Niemand rief ihr hinterher, kein Licht drang aus den Fenstern. Licht hätte sie gesehen. Konnte es sein, dass ihre Flucht tatsächlich glückte? Sie konnte es kaum glauben. Niemand hielt sie auf.
    Ganz langsam drehte sie den Kopf und hob den Blick hoch zum Fenster der Eltern. Einen halben Augenblick lang vermeinte sie dort etwas Rundes, Kopfartiges zu sehen, das sich vom Dunkel abhob. Etwas mochte rötlich silbern glänzen, und schon stellte sie sich in ihrer Phantasie riesige Augen vor, die die Finsternis durchdrangen – doch da war nichts, gar nichts, keine Bewegung, nur schwarze Schatten. Sie hatte sich geirrt.
    Sie konnte außerdem nicht ewig reglos verharren. Sie musste weiter, musste um die Ecke rennen und sofort zurückkommen. Den Brief musste sie ihm geben mit den wenigen Worten, die sie einstudiert hatte. Nicht dass sie nicht mit ihm reden wollte, doch sie wollte ihm keine Zeit lassen, sie umzustimmen. Er war ein erfahrener, weltgewandter Mann. Er wusste, wie er es anfangen würde, sie zum Bleiben zu überreden. Auf dem Weg ins Verderben. Die abgedroschene Phrase schoss ihr immer wieder durch den Kopf. Miss Colpin hatte sie wieder und wieder ausgesprochen in der letzten unerfreulichen Unterrichtsstunde. Auf dem Weg.
    Es kostete sie unendliche Kraft, sich zu rühren, und so bewegte sie sich nur vorsichtig, auf den Zehenspitzen, hob ihre Krinoline an und schlüpfte durch den schmalen Spalt des offenen Gartentors. Ganz dicht blieb sie an der Hecke und kroch an ihr entlang. Ihr Kleid verhedderte sich, und sie zog daran. Das Geräusch reißenden Stoffs hallte allzu laut durch die Nacht. Jeden Augenblick würde sich nun die Tür hinter ihr öffnen, und ihr Vater oder ihre Stiefmutter, Miss Colpin oder einer der Diener würde ihr nachlaufen, um sie aufzuhalten.
    Doch bislang hörte sie nichts als ihre eigenen Schritte. Jetzt kam sie in einem zerrissenen Kleid zu ihm. Aber das machte nichts, er hatte ja gesagt, er würde ihr alles neu kaufen.
    Überhaupt war es belanglos, weil sie ja gar nicht mit ihm fortgehen wollte.
    Die Straßenecke kam näher, und sie meinte, das ungeduldige Gebaren von Pferden zu hören. Er wartete auf sie.
    Sie entsann sich der Drohungen ihrer Stiefmutter. Sie würde die Folgen nicht mögen, hatte Lucilla sie gewarnt, und dass sie keine Vorstellung davon hätte, wie ungemein drastisch sie werden könne, wenn man nicht auf sie hörte. Ihre Ressourcen, sich Strafen auszudenken, auf die sie nicht einmal in ihren Alpträumen käme.
    Nur hatte sie die Flucht der Stieftochter nicht einmal bemerkt, und vom Inhalt von Catrins Alpträumen hatte sie auch keine Vorstellung. Zumindest hoffte Catrin das.
    Beeilen sollte sie sich, denn sie wollte nicht länger als nur ein paar Minuten ihrer Kammer fernbleiben. Ihre Hand hielt den Brief. „Hochverehrter Lord Edmond“, stand darin. „Ich danke Ihnen für Ihr Angebot, mich in Sicherheit zu bringen und mich aus einem Leben zu retten, das in der Tat nicht so angenehm ist wie es sein könnte. Doch ich will Sie nicht mit meinen Sorgen langweilen. Vielmehr möchte ich Ihnen sagen, dass ich Ihr verlockendes Angebot nicht annehmen kann. Das verstehen Sie sicher. Es tut mir ungeheuer leid, dass ich Ihnen durch mein Fehlverhalten Grund zu der Annahme gegeben habe, ich sei ein Frauenzimmer ohne Moral und ohne Grundsätze. Das war gewiss mein Fehler. Ich hoffe sehr, Sie können mir verzeihen, dass ich Sie so gänzlich unabsichtlich irregeführt habe, was die Einschätzung meines Charakters angeht. Ich trage voll und ganz selbst die Verantwortung dafür. Ich würde mich freuen, wenn mein unakzeptables Benehmen mich Ihnen nicht verleidet hätte. Ich hoffe inständig, dass wir Freunde werden könnten, denn ich sehe Sie als Freund an und würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie dies nicht als allzu freche Zumutung empfänden. Ich ersehne nichts so sehr, als die Ehre zu haben, Sie unter reguläreren Umständen wiederzusehen. Sollte mir das versagt bleiben – aus welchen Gründen auch immer – so werde ich doch immer das Andenken an die Mondscheinsonate, die Sie mir gespielt haben, bei mir behalten. Es war das

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