Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Panther, der hinter einem freundlichen Lächeln lauert. Ein zweischneidiger Mephistopheles. Ein Freund von Ihnen?“
„Ein Verwandter.“
Der Professor studierte das Bild sorgfältig.
„Stimmt. Man sieht die Familienähnlichkeit. Eine wohlgestalte Familie. Weit über Durchschnitt.“
„Danke, Herr Professor“, gab Thorolf trocken zurück.
„Vielleicht sollten Sie ihn bitten, Ihnen zu sitzen. Ein so wunderbares Gesicht. So viel verborgene Hintergründigkeit. Man möchte ihn kennenlernen und gleichzeitig vor ihm fliehen. Wenn von Kaulbach nicht den Faust schon illustriert hätte, dann hätte er in ihm ein wunderbares Modell für den ‚ Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft ‘ .“
Thorolf stierte ihn an.
„Sie haben einen ausnehmend guten Blick, Professor“, sagte er nach einer Weile.
„Darum geht es in der Kunst. Jedes Schulmädchen kann attraktive Gesichter zeichnen. Ein Künstler muss Ausdruck malen, Motive, Seele. Sie haben mir gesagt, dass Sie Szenen aus Legenden malen möchten. Ich bin mir sicher, dass Sie das Zeug dazu haben. Aber ob sie gut oder einfach nur hübsch bunt sein werden, wird davon abhängen, wie gut Ihre Wahrnehmung ist.“
Von Schwind legte die Zeichnung weg und hob eine weitere auf. Seine weißen Brauen hoben sich.
„Das jagt einem ja Angst ein. Was hat Sie nur bewegt, eine zweiköpfige Riesenspinne zu zeichnen?“
„Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen erzählte, ich hätte eine getroffen?“
„Ich würde Ihnen raten, dem Frankenwein nicht gar so zuzusprechen.“
Thorolf versuchte zu lächeln, war unsicher, was er darauf sagen sollte. Doch sein Lehrmeister war bereits bei der nächsten Zeichnung angelangt, die schon einige Tage alt war.
„Ein hübsches Mädchen. Wer ist sie?“
„Ich weiß es nicht.“ Er hatte sie nicht zeichnen wollen, hatte die unheimliche Angst, dass er sie so zeichnen würde wie Lena, während sie von einer Riesenspinne zerrissen wurde. Er würde sie überhaupt nie mehr zeichnen. Sie war verloren.
Er atmete tief ein und versuchte, die jähe Verzweiflung und Wut niederzukämpfen, die in ihm hochstiegen. Das Mädchen war tot. Er hatte es nicht retten können. Er hatte versagt. Sein ganzes Leben lang war sie seine Bestimmung gewesen. Doch nun war sie von einem Ungeheuer zerfleischt worden, das ihr nicht einmal ihre Seele gelassen hatte.
„Ich habe sie schon mal irgendwo gesehen. Ich weiß aber nicht mehr, wo“, sagte von Schwind. „Ein hübsches, junges Ding. Sie haben ihre Unschuld und ihre knospende Fraulichkeit sehr gut eingefangen. Scheu und betörend zugleich. So ein Mädchen kann einem jungen Mann ins Herz sinken wie süße Maibowle.“ Der alte Maler grinste zynisch. „Sie haben sie gemalt, ohne dass Sie Ihnen Modell gesessen hat?“
Thorolf nickte, fühlte sich nicht imstande, über sie sprechen.
„Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo ich dieses Gesicht schon einmal gesehen habe“, murmelte der Professor.
Er schlenderte zu einem weiteren Studenten. Thorolf verstaute die Skizze in seiner Mappe.
Kapitel 24
Die Welt hatte beängstigende Dimensionen angenommen. Alles war über die Maßen riesig, gigantisch und kolossal. Alle Farben hatten sich verändert zusammen mit dem Rest ihrer Sehfähigkeit. Die absolute Schärfe der Umrisse war mehr als bedenklich. Sie erkannte mehr Details als sie je zuvor hatte erkennen können, und da fast alles, was sie sah, entweder unendlich beängstigend oder einfach nur grässlich und eklig war, sah sie tatsächlich mehr als sie je zu sehen gewünscht hatte.
Catrin sah auf ihre linke Hand und schauderte. Sie streckte die Finger aus, und scharfe Krallen sprangen aus dem wohlverborgenen Nagelbett.
Sie hatte noch nicht herausgefunden, wie man weinte, sonst hätte sie es getan. Sie war völlig durcheinander und vermisste die Möglichkeit, ihr Gesicht in einem Kissen zu vergraben. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so sehr danach gefühlt, laut zu schluchzen, wie jetzt. Doch sie konnte es nicht tun. Jammern und um Hilfe schreien hatte sie ausprobiert. Jemand hatte daraufhin ein Fenster geöffnet und irgendetwas über ihr ausgeschüttet. Dabei hatte er in den schlimmsten Dialektausdrücken geflucht, sie solle gefälligst mit dem widerlichen Gejaule aufhören.
Sie hätte ihm gern ein, zwei Worte zu seinem Benehmen gesagt, aber sie war damit beschäftigt, sich aus dem Zielgebiet zu winden, um nicht den Guss der wie auch immer gearteten Flüssigkeit
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