Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
berührendste und schönste Erlebnis meines Lebens. In Freundschaft, Ihre Catrin Lybratte.“
Sie hatte lange über die Formulierung nachgedacht. Ob es ihr gelungen war, all das in den Brief zu packen, was ihr am Herzen lag, da war sie sich nicht sicher. Es hätte so viel zu sagen gegeben. Zum Beispiel, dass sie ihn liebte, dass ihre Seele sich nach ihm sehnte als zöge er sie wie eine Marionette an Fäden zu sich. Auch hatte sie ihm nicht gesagt, wie gerne sie von ihm berührt worden wäre, ihre Hand geküsst bekommen hätte, und wie sie am liebsten in seinen schönen, grauen Augen versinken würde.
Ein Blitz blendete sie und ließ die Welt den Bruchteil eines Augenblicks lang hell erstrahlen. Sie erstarrte, erschrocken und beunruhigt, dass man sie gesehen haben könnte. Sie wartete auf den folgenden Donner und wusste doch instinktiv, dass keiner kommen würde. Der Blitz war waagerecht an ihr vorbeigezischt und hatte eine flammende Narbe in die Wirklichkeit gebrannt. Nicht vom Himmel herunter war er eingeschlagen, sondern hatte sich wie ein Feuerkreis bewegt und ihre Seele angesengt, als er an ihr vorbeizog. Von jenseits der Ecke hörte sie einen Schrei. Schmerz, Ärger, Wut und Frustration. Ihr Blut gefror ihr schier in den Adern, und ein kalter Schauer rieselte ihr über den Rücken.
Das musste sein Schrei gewesen sein. Lord Edmond. Sie war sicher, dass er geschrien hatte. Wie angewurzelt stand sie da und wusste nicht, was sie tun sollte. Im Nachglühen der plötzlichen Helligkeit schien es ihr, als wäre die ganze Welt durchdrungen von allen möglichen grün und weiß schimmernden Linien, die die Nacht durchliefen und durchschnitten wie ein gigantisches Netz. Sie blendeten sie und überlagerten die düstere Wirklichkeit, so dass sie, als es wieder dunkel wurde, geradezu blind war.
Sie sollte nun zu ihm laufen und ihm helfen. Vielleicht war er verletzt. Vielleicht lag er da neben seinem Wagen, verwundet, voller Schmerzen und wartete nur auf die Hilfe eines Samariters, auf sie? Die Szenerie in ihrer Phantasie änderte sich abrupt. Die schwarze Kutsche war in ihren Gedanken nur noch ein rauchender Trümmerhaufen, ihr leidenschaftlicher Retter nur noch eine reglos am Boden liegende Gestalt.
Von wo war der Blitz gekommen? Der Himmel zeigte kein Anzeichen eines nahenden Gewitters. Ganz unschuldig sah er aus. Irgendwo hinter ihr war dieser Blitz aus dem Nichts gefahren. Ihren eigenen Weg, den sie gekommen war und über den sie auch wieder zurückkehren würde, hatte er zurückgelegt. Nur war er weiter gerast, um jene Ecke, die sie immer noch nicht erreicht hatte.
Ihre Füße verweigerten ihr den Dienst. Zurück ins Bett fliehen und sich unter der Decke verbergen wollte sie. Nach Hause kriechen, das Fenster schließen, die Tür verrammeln und den Brief einfach vergessen zusammen mit dem Mann und der Flucht, die er angeboten hatte.
Eine Sekunde zog vorüber, weniger vielleicht, dann sah sie es kommen. Es bog um jene Ecke, die immer noch zwischen ihr und dem Mann lag, der sie vielleicht gerettet hätte. Das gigantische Spinnenwesen bewegte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu. Diesmal war sie selbst es, die schrie. Sie konnte den Hunger der Bestie spüren und wusste, dass sie hinter ihr her war. Lord Edmond zu helfen war nicht mehr möglich.
Sie rannte, bevor ihre Gedanken noch ihr Bewusstsein erreicht hatten. Keine Zeit, die Gartenpforte zu öffnen und zurück zum Fenster zu laufen. Keine Zeit, eine Bank heranzuschieben, um wieder ins Haus zu klettern und das Fenster zu verriegeln. Keine Zeit für irgendetwas, was ihr helfen mochte, nicht für eine Pause oder einen einzigen wohlüberlegten Gedanken, nicht einmal an den Mann, der vielleicht schon tot war oder auch nicht. Sie rannte.
Es war hinter ihr her. Fast meinte sie, die Klauen auf dem Pflaster zu hören, doch der Klang war nur Illusion. Das Ungeheuer bewegte sich so lautlos, wie es alle Spinnen taten.
Ihre weiten Röcke behinderten sie, ebenso die Tatsache, dass sie nur zwei Beine hatte, ihr Verfolger aber acht. Ihr Geist wirbelte bereits vor ungebetenen Bildern darüber, was geschehen würde, wenn das Ungeheuer sie in seinen langen, scharfen Klauen fing. Spinnen woben Kokons um ihre lebende Beute und saugten sie später aus. War es das, was ihr blühte?
Sie rannte weiter und zwang sich, sich nicht umzublicken, um zu sehen, wie nah es schon war. Wenn sie sich umsah, würde sie das kostbare Sekunden kosten. Diese Sekunden hatte sie nicht. Sie
Weitere Kostenlose Bücher