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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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deutlich, dass seine Frage Jonathan erboste, aber sie mussten in Erwägung ziehen, dass Bojan gar nicht die Absicht gehabt hatte, Andro zu töten. »Genau solche Fragen wird Bojans Verteidiger stellen.«
    »Nein. Er hat mehr als einmal versucht, Andro zu Boden zu werfen, um ihn endgültig zu besiegen. Andro war allerdings einer der stärksten Männer, die ich je getroffen habe. Bojan hat Andro aus dem Gleichgewicht gebracht, indem er ihm in einem unerwarteten Augenblick ein Bein stellte und ihn dann mit aller Kraft stieß.«
    »Es war doch dunkel. Unter Umständen war es Bojan gar nicht klar, dass sie sich direkt bei der Öffnung des Schachts befanden.«
    »Er war am helllichten Tag oft genug an Andros Lagerplatz. Er muss gewusst haben, dass die Schachtöffnung direkt dort neben ihnen war«, beharrte Jonathan. »An dem Abend ist er mit mörderischer Absicht gekommen. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Und deshalb ist Marlee jetzt Waise.«
    »Sie wissen doch, was für eine Angst wir alle vor Bojan hatten«, sagte Erin zu Will. »Selbst meinem Onkel und mir hat er gedroht, Andro eines Tages umzubringen. Da ist es doch wohl keine große Überraschung, dass er seine Drohung schließlich in die Tat umgesetzt hat.«
    »Diese Art Drohung bekomme ich auf den Opalfeldern tagtäglich zu hören. Wenn ich bei jeder ausgesprochenen Drohung eingreifen wollte, gäbe es bald keine Minenarbeiter mehr, weil sie alle im Gefängnis säßen.«
    »Aber Jonathan war Zeuge der Tat«, sagte Erin. »Das muss doch wohl ausreichen, um Bojan wegen Mordes zu verurteilen.«
    »Ich habe über fünfzig Zeugenaussagen aufgenommen, Erin. Jonathan ist der einzige Zeuge, der behauptet, dass Bojan Andro mit voller Absicht in den Minenschacht gestoßen hat. Die anderen sagen alle aus, dass es ein Unfall gewesen ist oder dass Andro stolperte und dann rückwärts in seine eigene Mine fiel.«
    Jonathan war fassungslos. »Wollen Sie damit sagen, dass tatsächlich keiner meine Version der Geschichte bestätigt? Das kann ich nicht glauben.«
    »Ich hatte den Eindruck, einige der Befragten hätten das gern. Getan hat es schließlich keiner«, erwiderte Will. »Bojan hat viele kroatische Freunde auf den Feldern. Und wer nicht sein Freund ist, hat Angst vor ihm oder vor seinen Freunden.«
    »Also, ich habe bestimmt keine Angst. Ich werde in den Zeugenstand treten und die Wahrheit sagen.« Jonathan wollte unbedingt, dass der Mann, der Marlees Vater getötet hatte, für seine Tat büßte. Das zu erreichen war er dem kleinen Mädchen schuldig.
    »Tja, vielleicht sollten Sie aber Angst haben, Jonathan«, sagteWill. »Bojan ist überzeugt, dass Andro ihm den Olympic Australis gestohlen hat. Wahrscheinlich glaubt er, Sie hätten den Stein.«
    »Ich habe den Stein nicht!«, erklärte Jonathan mit Nachdruck.
    Erin hielt die Luft an. »Wenn Bojan glaubt, dass Sie den Stein haben, sind Sie und Marlee in Gefahr«, sagte sie entsetzt.
    »Dann muss ich dafür sorgen, dass er wegen Mordes an Andro verurteilt wird«, beharrte Jonathan.
    »Falls es nicht dazu kommt, sind Sie und die Kleine wirklich nicht mehr sicher«, warnte Will ihn.
    Jonathan fürchtete nicht so sehr um sich, er machte sich große Sorgen um Marlee. »Dann sollten wir so schnell wie möglich Marlees Familie ausfindig machen.«
    »Was, wenn Ihnen das nicht gelingt, Jonathan?«, fragte Cornelius. Je mehr Zeit verging, desto unwahrscheinlicher war es, dass sie Erfolg hatten.
    »Das habe ich Erin schon gesagt. Wenn ich die Leute nicht finde oder wenn sie nicht bei ihnen bleiben will, dann nehme ich sie mit zurück nach England.«
    Früh am nächsten Morgen fuhr Jonathan in die Stadt. Er erkundigte sich, wann an diesem Tag bei Gericht die Verhandlung weitergeführt wurde, und fand heraus, dass es um zwei Uhr nachmittags sein sollte. Mit dem Staatsanwalt hatte er nicht sprechen können, nahm sich das aber für später vor. Er war auf dem Rückweg zu seinem Auto und ganz in Gedanken, als er von einer Frau angehalten wurde, die ihm irgendwie bekannt vorkam.
    »Hallo, Jonathan«, sagte sie.
    »Hallo«, erwiderte er. »Kenne ich …«
    »Ich bin es.« Sie sah sich um. »Clementine«, sagte sie leise.
    Jonathan blinzelte. »Clementine!«
    Er musterte sie von oben bis unten. Sie sah vollkommen verändert aus, fast nicht wiederzuerkennen. Die junge Frau hatte keinen Lippenstift und kein Make-up aufgelegt. Sie trug ein schlichtes, konservatives Sommerkleid und flache Sandalen, die Haare hatte sie hinten

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