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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Meer.«
    Carol-Anns Geschichte machte Jonathan betroffen. Ihr Verlust war eine Erklärung für ihre Traurigkeit. Sie hatte Schlimmes durchgemacht. »Sie haben in Ihrem kurzen Leben schon so viel aushalten müssen«, erwiderte er.
    »Ich vermisse Michael noch immer, jeden Tag, aber ich habe ein Andenken an ihn, eine süße Tochter namens Michaela«, fügte Carol-Ann hinzu. »Michael hat seine Tochter nie kennengelernt, denn als er starb, wusste ich noch gar nicht, dass ich schwanger war. Sie ist ganz genau wie ihr Daddy.«
    Auf einmal verstand Jonathan, weshalb sie sich so zu Marlee hingezogen gefühlt hatte. »Wo ist Ihre Tochter denn jetzt?«, fragte er.
    »Sie ist zu Hause bei meiner Mutter. Nach Michaels Tod bin ich zurück nach Alice Springs gefahren und wieder bei meinen Eltern eingezogen. Da erst stellte ich dann fest, dass ich schwanger war. Meine Eltern unterstützten mich, bis Michaela auf der Welt war. Als die Kleine von der Brust entwöhnt war, wollte ich mir Arbeit suchen, dann wurde mein Vater plötzlich schwer krank. Die Ärzte fanden die Ursache für seine Krankheit nicht, aber bald war er so schwach, dass er das Bett nicht mehr verlassen, geschweige denn arbeiten gehen konnte. Das wenige Geld, das meine Elterngespart hatten, war rasch aufgebraucht, und ich fand keinen Job, bei dem ich so viel verdiente, dass ich uns alle hätte ernähren können. Mein Vater brauchte sehr kostspielige Medikamente. Da sagte ich zu meinen Eltern, ich könne Arbeit in Coober Pedy finden und ihnen Geld nach Hause schicken. Dass ich fortwollte, gefiel ihnen nicht gerade, doch ich hatte keine andere Wahl. Und so ließ ich dann Michaela bei meiner Mutter. Ich habe sie schrecklich vermisst.«
    »Was haben Ihre Eltern denn gedacht, was Sie arbeiten?«, fragte Jonathan sanft.
    »Sie dachten, ich arbeite in einem griechischen Restaurant und die Besitzer seien sehr nett zu mir und bezahlten mich gut. Meine Eltern glaubten mir, bis meine Mutter eines Tages bei einem Besuch Blutergüsse an meinem Körper entdeckte. Zuerst vermutete sie, der Restaurantbesitzer würde mich schlagen, und sie regte sich furchtbar auf. Sie wollte sogar die Polizei einschalten, also musste ich mit der Wahrheit herausrücken. Mein Vater hat es zum Glück nie erfahren. Es hätte ihn umgebracht. Sie müssen wissen, Jonathan, ich habe diese Arbeit verabscheut, ich war so verzweifelt.«
    Jonathan verstand, dass sie sich in einer schrecklichen Notlage befunden hatte. »Das glaube ich Ihnen«, sagte er. »Sie haben getan, was Sie tun mussten. Geht es Ihrem Vater inzwischen wieder gut?«
    »Ja, Gott sei Dank. Er arbeitet wieder, und ich habe einen Job im Supermarkt gefunden. Ich bin erst seit zwei Tagen zurück. Ich vermisse Michael immer noch, aber das Leben ist wieder schön.«
    »Ich freue mich wirklich sehr für Sie, Carol-Ann.«
    Sie sah, dass er das aufrichtig meinte. »Ich muss jetzt los, ich muss wieder zur Arbeit.« Sie stand auf, Jonathan ebenfalls. »Passen Sie gut auf sich auf, Jonathan. Ich hoffe, alles wird gut für Sie und Marlee.«
    »Danke«, erwiderte Jonathan.
    »Vielleicht laufen wir uns ja noch einmal über den Weg, ehe Sie die Stadt verlassen.«
    »Wir könnten ja zusammen essen gehen«, schlug Jonathan spontan vor.
    Carol-Ann strahlte. »Sehr gern«, sagte sie.
    »Ich komme dann in den Supermarkt und sage Ihnen Bescheid.«

27
    Als Jonathan das Gerichtsgebäude betrat, erkannte er einige Minenarbeiter aus Coober Pedy. Er nahm an, sie warteten auf die Öffnung der Zuschauergalerie, aber sie warfen ihm so feindselige Blicke zu, dass er begriff, dass man die Männer als Zeugen der Verteidigung geladen hatte. Einige von ihnen waren sicher auch gekommen, um Bojan Ratko zu unterstützen.
    Jonathan war unbehaglich zumute, doch er ließ sich nicht verunsichern. Trotzdem war er froh, als er Will aus einem Büro kommen sah. Er fragte ihn unauffällig, ob es möglich sei, mit dem Staatsanwalt zu sprechen. Will versprach, sich zu erkundigen, und bat Jonathan zu warten. Einige der Minenarbeiter beobachteten ihn misstrauisch. Jonathan hörte sie miteinander reden, aber da sie Kroatisch sprachen, verstand er nichts. Er ignorierte so gut er konnte ihre feindseligen Blicke und gab durch nichts zu erkennen, dass er sich von ihnen einschüchtern lassen würde.
    Eine halbe Stunde später sollte die Verhandlung beginnen. Als ein Constable die Zuschauergalerie öffnete und die Minenarbeiter hineinströmten, kam auch Will aus dem Büro der Staatsanwaltschaft.

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