Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
Vom Netzwerk:
übernehmen.
    Was hat es denn mit diesem Workshop auf sich?
    Wieder sahen sie einander an, erklärten es mir und wurden dabei richtig lebhaft: Das sei eine echte Spitzenidee, Þorgeirs absolute Herzensangelegenheit. Ob ich wirklich nichts davon gehört habe? Na ja, wenn ich das sage. Wie dem auch sei, Þorgeir habe Wochen darin investiert, diesen Workshop vorzubereiten, aus Anlass des zehnjährigen Debütjubiläums von Valgardur, der selber auf einem exklusiven Empfang am Workshop-Ende zu den Teilnehmern sprechen werde. Darüber würden natürlich die Zeitungen berichten, falls sie das nicht schon getan haben, was eine tolle kostenlose Werbung sei, hinzu komme die Chance, unter den Teilnehmern ein neues Talent zu entdecken. Am wichtigsten sei es jedoch, die Eitelkeit des Autors zu befriedigen, schließlich könne Valgardur dem Verlag nun kaum mehr vorwerfen, er würde das Jubiläum ignorieren. Zwölf Frauen, die an seinen Lippen hängen, zu solchen Seminaren kommen ja meistens Frauen und höchstens ein oder zwei Männer, statistisch gesehen – es blieben also immer noch zehn weibliche Fans.
    Und warum muss da jemand vom Verlag hin?
    Es muss jemand Nettes da sein, um Valgardur zu betreuen, wenn er zu dem Empfang kommt. Jemand, der gut mit Menschen kann. Und dieser Jemand bist du, Sunna.
    Die Mischung aus Zigarrenrauch und Rasierwasser hat sich auf meine Sinne gelegt und verdichtet sich mit dem Staub, den ich aufwirbele, als ich im Schrank nach einem Stoffbeutel suche. Dreimal muss ich niesen, dann finde ich ihn und stecke eine ausgebeulte Präsentationsmappe hinein. Im Anschluss ziehe ich meine Jacke bis zum Hals zu. Die Verbrauchermärkte warten, allein schon der Gedanke macht mir Angst. Danach muss ich mit der Leiterin das Seminar vorbereiten.
    Sorry, Arndís.
    Aber vielleicht bist du ja schon wieder aufgetaucht.
    Vielleicht bin ich es, die verloren gegangen ist.
    *
    Ich will nur Valgardur, sagt eine blöde Kuh im Hosenanzug mit ausgeblichenem, zu einem Knoten gebundenen Haar. Sie stiert mich an, ein Glaukom-Schleier dämpft das Blau ihrer vorstehenden Augen. Sie erinnert mich an eine Bachstelze, bei jedem Wort, das aus ihrem Mund kommt, wippt ihre dünne Nase auf und ab. Ich schiele auf ihr Namensschild am Revers und lese Ragnheidur Kjærnested, Chefeinkäuferin Bücher.
    Dann müssen Sie aber auch welche von den anderen Autoren nehmen, sage ich, beide Arme vollbeladen mit Büchern, und spüre, wie die Muskelschmerzen in meiner rechten Schulter stärker werden, wie immer zu dieser Jahreszeit. Wir stehen in einem neonbeleuchteten Verbrauchermarkt und sehen uns fest in die Augen. Rechts steht ein Tisch mit Heerscharen von goldenen Engeln, links einer mit allen möglichen Weihnachtsbüchern. Diese zwanzig Quadratmeter Verkaufsfläche, sechs Tische und das, was auf ihnen liegt, darüber bestimmt sie.
    Darauf sagt sie nur: Darf ich Sie ihm gegenüber so zitieren?
    Die Frage lässt mich auf stur schalten. Spontan behaupte ich, dass Valgardur eine Geheimnummer habe und wir uns ganz abgesehen davon prächtig miteinander verstehen würden, der Valli und ich.
    Dann grüße ich Valli von Ihnen, sagt sie schnippisch.
    Wie meinen Sie das?
    Ich treffe Valgardur jedes Jahr auf ein paar Weihnachtsfeiern. Er ist der Halbbruder meines Schwippschwagers.
    Oh ja, unbedingt, sage ich kraftlos, wende mich dem Büchertisch zu und frage, ob sie wirklich nicht noch ein paar von unseren Kinderbüchern haben möchte.
    Im Gegenteil, sagt sie. Ich will dieses bizarre Buch über diesen Teddybären zurückgeben, das Ihr Kollege Þorgeir meiner Assistentin aufgedrängt hat. Das ist kein Kinderbuch, sondern irgendein verquastes philosophisches Geseiere mit gespenstischem Gekrakel, das Kindern nichts als Angst macht. Warum soll man Kindern vermitteln, dass man alles anzweifeln kann? Sie brauchen doch nichts dringender als ein Gefühl von Sicherheit, oder? Stattdessen tyrannisiert dieses Buch ihre kleinen, unfertigen Seelen. Es verwirrt sie. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe selbst drei Kinder. Haben Sie Kinder?
    Nein.
    Was?
    Nein, wiederhole ich. Leider. Aber ich versichere Ihnen, das ist ein einzigartiges Buch. Es ist von einem deutschen Philosophieprofessor geschrieben worden und gilt als pädagogische Revolution, weil …
    Sie fällt mir ins Wort: Es ist mir egal, wie beliebt diese Bücher an irgendwelchen Unis irgendwo in der Pampa in Deutschland sind, hier geht so was nicht. Als Mutter weiß ich mehr über Kinder als so ein deutscher

Weitere Kostenlose Bücher