Jenseits des Meeres
und öffneten sich langsam.
Kieran spürte ihre Verwirrung, als sie sich offensichtlich zu orientieren versuchte. „Habt Ihr Schmerzen, Mylady?“
„Schmerzen? Gewiss. Wer seid Ihr?“
„Ich heiße Kieran O’Mara.“ Er sprach diesen Namen mit gewissem Stolz aus, was Megan nicht entging. Allerdings sagte ihr der Name nichts, doch für den Mann schien er eine bestimmte Bedeutung zu haben.
„Weshalb bin ich hier?“
Anscheinend erinnerte sie sich nicht mehr an die Geschehnisse am Tag zuvor. „Ihr wurdet bei einem Gefecht mit einigen englischen Soldaten verletzt, Mylady. Und Euer Begleiter bat mich darum, für Eure sichere Heimkunft zu sorgen.“
„Mein Begleiter?“
„Gewiss. Der junge Mann, der an Eurer Seite kämpfte. Er sagte, er sei Euer Waffenmeister. Er wurde ebenfalls verwundet, wenn auch nicht so schwer. Und er bat mich eindringlich, Euch mitzunehmen und zu Eurem Volk zu bringen.“
Sie sah ihn weiterhin verständnislos an. Deshalb bemühte er sich um eine noch sanftere Tonlage. „Wenn Ihr mir nun sagen wolltet, wer Ihr seid, Mylady, und woher Ihr kommt, werde ich dafür sorgen, dass Ihr sicher heimgebracht werdet. Euer Begleiter sagte nur, Euer Name sei Megan.“
„Megan? So heiße ich?“
Welches Spiel treibt diese Lady mit mir, fragte sich Kieran und beobachtete, welche Gefühle sich in ihrem Gesicht widerspiegelten: Verwunderung, Zorn und schließlich schreckliche Angst. Nein, sie macht mir nichts vor, ging es ihm durch den Kopf. Ratlos blickte er sie an.
„Gott im Himmel!“ Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie die grausame Wahrheit erkannte. „Ich weiß weder, wie ich heiße, noch wo sich meine Heimstatt befindet!“ Sie barg das Gesicht in den Händen und begann zu weinen. „Gütige Mutter Gottes, ich erinnere mich an gar nichts mehr! “
3. KAPITEL
Was die Schottin sagte, erschreckte Kieran. Während sie leise weinte, betrachtete er sie schweigend. Er hatte von Kriegern gehört, welche von einem Kampf Verletzungen davontrugen, die vorübergehende Verwirrung zur Folge hatten. Man berichtete sogar schreckliche Geschichten von Kriegern, die sich offenbar nie wieder erholt hatten.
Die Tränen der jungen Frau machten ihn hilflos. Könnte dasselbe auch bei ihr der Fall sein? Megan, wie er sie insgeheim nennen würde, war doch ihren Angreifern so furchtlos gegenübergetreten ... Wenn ihn am Tag zuvor ihr Waffengeschick überrascht hatte, so bestürzte es ihn jetzt gleichermaßen, dass sie bei dieser neuen Erkenntnis in Tränen ausbrach.
Nach einer Weile berührte er sie sanft an der Schulter. „Ihre Erinnerung wird wiederkehren, Mylady.“
„Nur entsinne ich mich nicht einmal an die einfachsten Dinge. Meinen Namen, meine Familie, diesen Begleiter, von dem Ihr spracht, ja, ich habe sogar vergessen, wo mein Zuhause ist.“ „Glaubt mir, Ihr werdet Euch bald wieder an alles erinnern.“ „Seid Ihr wirklich davon überzeugt?“ Sie blickte ihn an, und die Wangen waren noch feucht von ihren Tränen.
„Ganz gewiss. Doch jetzt müsst Ihr weiterschlafen, damit Ihr zu Kräften kommt. Und in dem Maße, wie sich Euer Körper erholt, wird auch Euer Geist gesunden.“
Megan unterdrückte die Angst, die erneut in ihr hochstieg. Sie durfte ihrer Schwäche nicht nachgeben, selbst wenn sie so etwas Schreckliches noch nie erlebt hatte.
Besaß sie überhaupt eine Familie, Freunde? Womit hatte sie ihre Tage verbracht? Trauerte irgendjemand ihrem Verschwinden nach? Würde sie jemals ihre eigene Vergangenheit erfahren? Oder war die Erinnerung daran für alle Zeiten aus ihrem Gedächtnis gelöscht? „Ich heiße also Megan“, stellte sie mit Nachdruck fest. Hieran
wollte sie sich klammern. Sie besaß einen Namen, auch wenn sie sonst nichts über sich wusste.
„Außer kaltem Fleisch haben wir kaum noch etwas, Mylady. Doch essen müsst Ihr etwas.“
„Ja danke.“ Megan nahm ein Stück Geflügelfleisch entgegen und zwang sich zum Kauen, doch die Furcht, die an ihrer Seele nagte, ließ alles wie Asche schmecken.
Kieran reichte ihr einen Becher Wasser und sah zu, wie sie ihn leerte. Unterdessen dachte er angestrengt nach. Er und Colin waren hier nicht sicher. Sie mussten bald aufbrechen, denn sonst würde man sie finden und wieder in den Kerker von Fleet bringen. Es wäre nicht richtig, Megan in ihre Angelegenheiten zu verwickeln. Die Reise, die ihnen bevorstand, war lang und gefährlich. Doch würde er es fertig bringen, Megan hier einfach zurückzulassen? Sie war doch allein und
Weitere Kostenlose Bücher