Jenseits des Mondes
weil ich meine Gedanken laut aussprach.
Ruth wollte nicht antworten, das war ihr deutlich anzusehen. Aber ich musste wissen, was sie über die Sache dachte. Sah ich Gespenster? Hatten Michael und ich uns schlicht und einfach auseinandergelebt – in einem ganz natürlichen Prozess, nicht aufgrund einer radikalen Persönlichkeitsveränderung seinerseits? Stand irgendetwas – oder irgendjemand – zwischen uns?
»Bitte, Ruth, sag mir, was du denkst«, bat ich erneut.
»Sicher ist es mir aufgefallen, Ellie. Er ist total auf Football fixiert, viel mehr als früher. Unter den gegebenen Umständen ist das schon ziemlich seltsam. Und er ist so gut darin, sich zu verstellen, dass man manchmal fast den Eindruck bekommt, er hätte vergessen, was passiert ist und wer er wirklich ist. Fast, als –« Sie verstummte, wohl weil sie Angst hatte, zu weit zu gehen. Schließlich war Michael immer noch mein Freund.
»Ja?«, drängte ich sie.
»Als hätte er gar keine Beziehung mehr zu anderen Menschen«, sagte Ruth langsam.
»Ich weiß«, erwiderte ich leise, während ich die traurige Wahrheit ihrer Worte auf mich wirken ließ. »Vorgestern Abend bin ich mit Rafe über den Schulparkplatz gegangen. Ein Schüler hatte einen Platten, und er hat ihm sofort geholfen, den Reifen zu wechseln, obwohl er ihn gar nicht kannte. Der Michael von früher hätte genau dasselbe gemacht – jemand anderem geholfen, ganz selbstverständlich, ohne zu fragen. Aber was den neuen Michael angeht, bin ich mir nicht so sicher. Wahrscheinlich hätte er Angst, dass er zu spät zum Training kommt.«
Ruth sah mich von der Seite an. »Und wer ist Rafe?«
»Irgend so ein Typ, den ich in der Erdbebenopfer-Nothilfe kennengelernt habe.«
»So, wie du seinen Namen sagst, ist er nicht nur irgend so ein Typ.«
»Na ja, also, er ist …« Mein Gestammel klang selbst in meinen eigenen Ohren nicht überzeugend. »Wir haben uns bloß zusammen um die Essens- und Getränkespenden für die Spendenparty gekümmert.«
Ruths Stimme wurde leise und todernst. Sie sah regelrecht verängstigt aus. »Ellie, du darfst nicht zulassen, dass irgendjemand zwischen dich und Michael kommt, ganz egal, wie unsicher du dir im Moment über eure Beziehung bist. Ganz egal, wie footballverrückt er auch sein mag. Du darfst es dir nicht mit dem Menschen verderben, der dir dabei helfen soll, die Welt zu retten.«
»Werde ich auch nicht, versprochen. Wenn ich Michael in die Augen sehe, weiß ich ganz genau, dass er der Richtige für mich ist, und dann weiß ich auch, dass wir zusammen kämpfen werden, wenn das Ende kommt«, erklärte ich und wollte damit nicht nur Ruth beruhigen.
Sondern auch mich selbst.
Siebzehn
R uth und ich wagten uns aus der vertrauten Wärme des Daily Grind in die Dunkelheit hinaus. Zunächst wunderte ich mich, dass die Straßen von Tillinghast wie ausgestorben waren, aber dann wurde mir klar, dass es schon fast elf war. Die meisten Schüler waren nach dem Footballspiel nach Hause gegangen, und die Studenten feierten vermutlich auf dem Campus irgendwelche Partys. Ruth und ich schienen die Einzigen zu sein, die noch unterwegs waren.
Wir hatten weit voneinander entfernt geparkt. Es war kalt, also nahmen wir uns zum Abschied nur kurz in die Arme, bevor wir in entgegengesetzte Richtungen zu unseren jeweiligen Autos liefen. Obwohl wir ausgemacht hatten, gleich am nächsten Morgen weiter an unserem Schlachtplan zu feilen, fühlte ich mich vollkommen alleingelassen. Wie sollte ich nach allem, was Ruth mir gesagt hatte, die Nacht überstehen – ohne zu wissen, wo Michael steckte?
Er hatte nicht zurückgerufen. War er etwa immer noch sauer wegen heute Morgen? Wir hatten so viel zusammen durchgemacht. Wir hatten Dinge miteinander geteilt, die andere sich nicht einmal vorstellen konnten, und es war mir unbegreiflich, dass er wegen einer Kleinigkeit so hartnäckig den Beleidigten spielte. Ausgerechnet jetzt. Ich war schließlich auch nicht mehr sauer, obwohl ich allen Grund dazu gehabt hätte. Man denke nur daran, wie er seine übernatürlichen Kräfte auf dem Spielfeld zur Schau gestellt hatte.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich so wütend auf ihn gewesen, dass ich nicht eine Sekunde lang die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass er vielleicht nicht zurückrufen konnte . Ich dachte an das, was ich Ruth zum Schluss über Michael und mich gesagt hatte – dass wir zusammengehörten –, und kam mir auf einmal richtig schäbig vor. Wenn dem wirklich so war, dann hätte
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