Jenseits des Mondes
wird.«
»Warum kommt denn in den Nachrichten nichts davon?«
»Weil niemand danach fragt. Außer uns.«
Ich überflog die Artikel. Ich war zu sehr mit Ruths Vortrag beschäftigt gewesen, um sie genauer anzusehen. »Warte mal kurz, Ruth, die Artikel da sind ja alle aus Zeitschriften wie Jahr 2012 : Das Ende der Welt .«
Sie nickte. »Ich weiß, es hört sich an wie die Hirngespinste von irgendeinem verrückten Endzeit-Verschwörungstheoretiker.«
Ich nickte.
»Deswegen habe ich die Sachen auch meinem Dad gezeigt, um ganz sicherzugehen. Er meinte, dass diese Publikationen manchmal genau ins Schwarze treffen, auch wenn ihre Themen ein bisschen abseitig sind. Außerdem hat er sich die Tabellen angeguckt, und er hat gesagt, soweit er das einschätzen kann, hat alles Hand und Fuß.«
»Du hast mit deinem Dad darüber gesprochen?« Ich war fassungslos. Begriff Ruth denn nicht, wie wichtig Geheimhaltung war?
»Keine Panik, Ellie, ich habe ihm gesagt, dass ich an einem Projekt für die Schule arbeite, für das wir die nächste große Umweltkatastrophe voraussagen sollen. Quasi aus aktuellem Anlass, wegen der Erdbeben. Er hat sich sofort draufgestürzt.«
»Okay«, sagte ich gedehnt. »Danke, dass du dir so viel Arbeit gemacht hast, Ruth.«
Ruth strahlte. Obwohl die Neuigkeiten, die sie ausgegraben hatte, mehr als besorgniserregend waren, war sie ganz offensichtlich stolz auf ihre Arbeit. Ich wusste ihren Einsatz zu schätzen, aber ihre Freude irritierte mich ein wenig. Ich fragte mich, ob sie über ihrer Arbeit ganz vergessen hatte, was mit uns allen passieren würde, falls sie recht hatte.
»Hat dein Dad dir zufällig auch gesagt, wie man einen Vulkan am Ausbrechen hindern kann?«
Ihr Lächeln verschwand. »Na ja, also den Vulkanausbruch selbst können wir natürlich nicht aufhalten.«
»Dachte ich’s mir doch.«
»Aber«, fügte sie hastig hinzu, »wir können einige der schlimmsten Auswirkungen verhindern. Vielleicht lässt sich die Hungersnot abwenden oder der Ausbruch von Krankheiten. Wenn uns das gelingt, dann haben wir schon mal zwei Siegel weniger, um die wir uns Sorgen machen müssen.«
»Und wie sollen wir das anstellen?«
Erneut zeigte Ruth auf ihre Mappe. »Indem wir damit zu den Behörden gehen, damit sie sich auf eine Lebensmittelknappheit und eventuelle Pandemien vorbereiten können.«
»Aha. Michael und ich spazieren also mit deiner Mappe unterm Arm ins Weiße Haus, und die hängen sich dann sofort ans Telefon und rufen die Regierungen im Ausland an.« Ich schüttelte abfällig den Kopf. »Keine Regierung der Welt wird zwei Schülern glauben, die sie vor der bevorstehenden Apokalypse warnen.«
Ruth senkte den Blick. Mit meiner harschen Kritik hatte ich ihr allen Wind aus den Segeln genommen. Sie tat mir leid, aber als ich gerade anfangen wollte, eine Entschuldigung zu stammeln, sagte sie leise: »Das stimmt. Zwei Schüler würde niemand ernst nehmen. Aber was ist mit zwei Schülern, die fliegen können?«
Klar. Bestimmt würden sich ein paar Leute von ganz oben die Zeit nehmen, Ruths Mappe durchzublättern, wenn Michael und ich in ihr Büro geflogen kämen – bevor sie uns in irgendein Labor verschleppten, um Experimente an uns zu machen. Wenn Michael und ich unsere wahre Natur offenbarten, würden wir damit nicht nur unsere Freiheit aufs Spiel setzen, sondern auch diejenigen Menschen in Gefahr bringen, die wir in erster Linie beschützen wollten: unsere Eltern. Andererseits: Womöglich hatte Michael uns ohnehin schon verraten, als er während des Footballspiels seine Kräfte eingesetzt hatte. Ich war durcheinander und überfordert, und ich musste unbedingt mit Michael reden.
Wo steckte er bloß?
»Er hat mir versprochen, dass ich das nicht alleine durchstehen muss«, murmelte ich halblaut zu mir selbst.
Ruth beugte sich zu mir und nahm mich in die Arme. Ihr Mitleid machte es mir noch schwerer, die Fassung zu bewahren. Dabei hatte ich mir die ganze Zeit so viel Mühe gegeben.
»Was ist denn los zwischen euch, Ellie? Du und Michael, ihr seid im Augenblick ja gar nicht gut aufeinander zu sprechen.«
Meine Stimme war zittrig. So viel zu der mächtigen biblischen Kreatur, die ich angeblich war. »Ich liebe ihn, Ruth. Den echten Michael, den ich vor ein paar Monaten kennengelernt habe. Aber im Moment verstehe ich ihn einfach nicht. Und ich mag ihn auch so nicht leiden. Er hat sich total verändert in letzter Zeit, ist dir das nicht auch aufgefallen?« Ich kam mir wie ein Verräter vor,
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