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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Terrell
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sahen zu, wie die Uhr an der Wand erst neun anzeigte, dann halb zehn, dann zehn, während wir einen kläglichen Versuch nach dem anderen unternahmen, ein Gespräch anzufangen. Michael kam nicht. Ich versuchte es mehrmals auf seinem Handy, aber er ging nicht ran. Meine mühsam erarbeitete Ruhe drohte mich zu verlassen. Mir zur Strafe die kalte Schulter zu zeigen war eine Sache. Aber seine Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit in den Wind zu schießen, nur weil wir uns gestritten hatten – das ging entschieden zu weit. Wie konnte er vergessen, was auf dem Spiel stand? Nach allem, was wir in Boston durchgemacht hatten?
    »Ich glaube, wir sollten nicht länger warten, Ellie«, meinte Ruth irgendwann.
    »Ich weiß«, seufzte ich. »Dann schieß mal los. Was hast du rausgefunden?«
    Sie schob mir eine ihrer berühmten Mappen hin. Ich schlug sie auf und sah jede Menge Tabellen, Diagramme, Kurven und Statistiken sowie einige Zeitungsausschnitte, in denen zahlreiche Stellen mit Textmarker angestrichen waren. Ich war noch zu wirr im Kopf von meinem Ärger auf Michael, um die Flut an Informationen aufzunehmen.
    »Kannst du mir die Kurzversion geben?«, bat ich Ruth.
    Sie lachte. Es war der erste Anflug von Heiterkeit, seit wir das Daily Grind betreten hatten. »Aber klar. Also, wie du weißt, sind noch sechs Siegel übrig. Wenn man das letzte Siegel mal ausklammert – das Auftreten eines Endzeitherrschers –, wären da noch Hungersnöte, Seuchen, Wirtschaftskrise, Krieg und Verfolgung der Gläubigen.«
    Sie klang, als lese sie eine Einkaufsliste vor. Eine sehr gruselige Einkaufsliste.
    »Wunderbar«, sagte ich.
    Ruth schenkte meinem zynischen Einwurf keine Beachtung, sondern fuhr fort. »Ich habe mir einen Überblick über weltweite ökonomische Trends und zu erwartende Naturkatastrophen verschafft. Zuerst ist mir nichts Besonderes aufgefallen, aber dann bin ich über ein paar Artikel gestolpert, in denen eine Umweltkatastrophe mit potenziell globalen Auswirkungen vorhergesagt wird.« Sie zeigte auf die Artikel in der Mappe, die fast vollständig gelb markiert waren.
    »Und die wäre?«
    »Es gibt diesen riesigen Vulkan auf einer Insel vor der grönländischen Küste. Meistens wird er nicht weiter beachtet, weil er in den vergangenen paar tausend Jahren nur zweimal ausgebrochen ist.«
    »Ja …«, sagte ich und wartete darauf, dass sie zum Punkt kam.
    »Also, seit ein paar Monaten rumpelt er immer wieder.«
    »Rumpelt?«
    »Ja, rumpelt. Die Faktoren, die die Vulkantätigkeit beeinflussen, sind natürlich zu komplex, als dass man eine genaue Vorhersage machen könnte, aber in den Artikeln, die ich rausgesucht habe, wurden wissenschaftliche Daten zusammengestellt, die nahelegen, dass er bald ausbrechen wird. Sehr bald.«
    Ich dachte an Ruths Vortrag über die Offenbarung und atmete auf. Seuchen, Hunger, Krieg, Wirtschaftskrise, Verfolgung der Gläubigen – von Vulkanausbrüchen war nicht die Rede. »Aber ein Vulkanausbruch ist keins der sieben Siegel.«
    Ruth schüttelte den Kopf und sah mich eindringlich an. »Das stimmt. Aber weißt du, was passieren wird, wenn der Vulkan ausbricht?«
    Ich traute mich kaum nachzufragen. »Was denn?«
    »In den Artikeln wird vorausgesagt, dass sich eine gigantische Aschewolke über Europa und Nordafrika ausbreiten wird. Die wird den Flugverkehr lahmlegen, weil die Maschinen nicht fliegen können, wenn so viel Asche in der Luft ist. Das ist zunächst mal nur ein Ärgernis für die Reisenden, und es bringt finanzielle Verluste für die Fluggesellschaften mit sich. Aber dann kommt es zum Dominoeffekt. Lebenswichtige Medikamente können nicht mehr in die Krankenhäuser geliefert werden, was die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt. Als Nächstes trifft es die Lebensmittelindustrie, die vom Lufttransport abhängig ist, um ihre Waren an weit entlegene Absatzmärkte zu bringen; riesige Mengen an Frischware und Kühlgut verderben. Wenn die Aschewolke dicht genug ist, blockiert sie die Sonne, wodurch es zu Missernten und Nutztiersterben kommt. Was wiederum unweigerlich eine Lebensmittelknappheit zur Folge haben wird.«
    »O mein Gott, das heißt ja, der Vulkan würde zwei Siegel gleichzeitig öffnen – Hungersnöte und Seuchen.«
    »Möglicherweise, ja.«
    »Wie sicher ist es denn, dass dieser Vulkan ausbrechen wird? Und wann soll das passieren?«
    Ruth zeigte auf eine ihrer zahlreichen Tabellen. »So gut wie sicher. Und die Wissenschaftler sind der Ansicht, dass es sehr bald passieren

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