Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Eckchen des Gebäcks ab, betrachtete die angebissene Stelle eingehend, als sei sie sich nicht ganz schlüssig, wie es ihr mundete. »Halt mich nicht für gefühllos, Grace ... Aber warum sie dort sind, was sie dort tun – das ist ganz allein ihre Sache. Männersache . Ich komme hier in England meinen Pflichten als Roys Verlobte nach. Ich bemühe mich, seine und meine gesellschaftlichen Verbindungen zu pflegen und zu festigen. Denn hier«, ihrZeigefinger tippte auf das Tischtuch, und der Kranz aus Diamanten um den schimmernden Opal an ihrem Ringfinger funkelte kurz auf, »hier liegt Roys Zukunft. Hier in England, als künftiger Earl.« Der restliche Keks verschwand in ihrem Mund.
»Du klingst wie Lady E. «, spöttelte Grace; Royston selbst war es gewesen, der den halb respektvollen, halb ironischen Spitznamen für seine Mutter unter den Freunden aufgebracht hatte.
Cecilys Augen wurden schmal. »Und wenn schon? Eines muss man ihr zugutehalten: Sie weiß, worauf es in der Gesellschaft ankommt, und das ist in ihrer Stellung ganz gewiss kein Fehler.« Nachdenklich fuhr ihr Zeigefinger über den Goldrand der Untertasse. »Das Bedford bekommt dir nicht, Grace«, sagte sie leise und hob die Hand, als Grace sich verteidigen wollte. »Nein, lass mich bitte ausreden. Bildung ist gut und schön, schließlich mag kein Gentleman eine dumme Ehefrau, mit der er sich nur langweilt, und er wünscht sich auch nicht so eine Mutter für seine Kinder. Gegen deinen ersten Abschluss dort war nichts einzuwenden, ebenso wenig wie gegen Ads’ Studien jetzt in Musik und Kunst – aber muss es denn gleich ein Examen an der Universität sein? Übertreibst du da nicht ein wenig? Seit du wieder am College bist, hast du nämlich lauter merkwürdige Gedanken im Kopf.« Sie sah ihre Freundin über den Rand der Tasse hinweg an.
»Immerhin«, gab Grace herausfordernd zurück, »habe ich überhaupt welche im Kopf.«
Cecilys Gesicht wurde starr wie bei einer Porzellanpuppe, ebenso glatt und kühl. »Offenbar reichen diese Gedanken aber nicht sehr weit, sonst würdest du dich nicht an einen Mann verschleudern, der weit unter deinem Niveau liegt.«
Zorn schoss in Grace empor wie eine Stichflamme. »Wag es nicht, Sis – wag es ja nicht, so über Jeremy zu reden!«
Cecily setzte die Tasse klirrend ab und machte eine ausgreifende Geste. »Himmel, Grace, seine Mutter geht arbeiten! Das sagt doch schon alles!«
Und dennoch hat sie mir jeden Penny, den sie erübrigen konnte, zu meinem Ersparten dazugeschossen, damit ich nach Sandhurst kann, fielen Grace Jeremys Worte ein, und sie sah Mrs Danvers vor sich, am Tag der Abschlussparade, ihr weiches, ihr müdes Gesicht, und die Zuneigung, die sie damals zu Jeremys Mutter gefasst hatte, heizte ihren Zorn weiter an. »Du sitzt auf einem so verflixt hohen Ross, Cecily! Merkst du das eigentlich?«
»Ach Gott, ja!« Cecily verdrehte die Augen zum klarblauen Sommerhimmel. »Ich vergaß: Grace, der gute Mensch von Surrey, mit all ihren hehren Idealen von Gerechtigkeit, Harmonie und Nächstenliebe! Weißt du eigentlich, wie fade das mit der Zeit wirkt?«
Grace’ Finger strichen langsam über den Kopf des Welpen. Das konnte sie gut: einen brennenden Zorn tief, tief in sich halten und äußerlich ruhig bleiben dabei, beinahe ebenso gut wie ihr Vater, der Colonel. Doch heute kostete sie das weitaus mehr Anstrengung als sonst. »Ich bin stolz auf das«, erwiderte sie schließlich, »was unsere Eltern Stevie, Ads und mir für das Leben mitgegeben und wie sie uns erzogen haben.«
Cecily antwortete nichts darauf. Stattdessen leerte sie ihre Tasse und sagte dann: »Ich mache mich wohl besser auf den Weg, sonst wird mir die Zeit zu knapp.«
Grace nickte. »Ja, natürlich.«
»Danke für den Tee. – Nein, bemüh dich nicht«, wehrte Cecily ab, als Grace aufstehen wollte, sprang auf, schnappte ihre Handschuhe und riss ihre Jacke so heftig von der Lehne herunter, dass der Stuhl ins Kippeln geriet. »Ich kenne den Weg.«
Die Hufe trommelten in dumpfen Schlägen auf die Erde und ließen den Boden erzittern. Grace’ Atem ging rasch, und dennoch trieb sie ihre Fuchsstute weiter an. »Komm, komm, komm!«, rief sie kurz vor dem Absprung, und das Pferd setzte über die Hecke. Als es aufkam, verlor Grace beinahe das Gleichgewicht, stauchte sich schmerzhaft das Rückgrat, aber sie dachte nicht daran, dasTempo zu verlangsamen. In weitem Bogen preschte sie über die Sommerwiese, sodass Grasbüschel und Erdklumpen hinter ihnen
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