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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Sandhurst um ihre Hand anhielt, trieb sie unmerklich auf diese Dunkelheit zu. Diese Dunkelheit, hinter der sich ein heller Streif abzeichnete wie das Band am Horizont kurz vor Sonnenaufgang. Ein Lichtstreif, mal mehr, mal weniger aufscheinend bei Jeremy Danvers, der eine ganz bestimmte Art von Zärtlichkeit verheißen mochte, wenn auch vielleicht keine von besonders sanfter Natur. Sicher jedoch bezeugte diese Helligkeit den Willen, zu lieben, auf eine heftige und bedingungslose Weise, die Grace erst verunsichert, dann nach und nach in Jeremys Bann gezogen hatte.
    An einen Augenblick erinnerte sie sich so deutlich, als sei es gestern erst gewesen, an dem dieses Licht die Dunkelheit in Jeremy fast überstrahlt hätte. Ostersonntag war es gewesen, Ostersonntag vor mehr als zwei Jahren, im Garten des Pfarrhauses der Holy Trinity Church von Guildford. Den kleinen Samuel Frome auf dem Arm war sie an Jeremy vorübergegangen, und in Grace hatten noch der Spaß am Eierschieben nachgeklungen, und eine Freude, die teils ein Echo der Glückseligkeit des Buben gewesen war, dass sie die Ostereier gemeinsam ins Ziel gebracht hatten, teils von dem Gefühl herrührte, den warmen Kinderkörper auf ihrem Arm zu spüren. Nur ein kurzer Augenblick war es gewesen, in dem sich ihre Augen mit denen von Jeremy getroffen hatten, und die Sehnsucht, die darin stand und die beinahe einemVersprechen gleichkam, hatte sie getroffen wie ein Donnerschlag. Es war ihr schwergefallen, weiter einen Fuß vor den anderen zu setzen, und noch schwerer, nicht einfach zu Jeremy hinzugehen, ihn mit einer Hand am Kragen seines Jacketts zu packen und ihren Mund auf den seinen zu pressen, der in diesem Moment so unerwartet voll, so weich aussah. Stattdessen hatte sie rasch ihr Gesicht abgewandt und die Lippen gegen die pralle, zarte Wange des Buben gelegt, ein Tosen aus heißem Glück und Verlangen in ihrem Bauch.
    Keuchend hielt Grace in ihrem Wüten inne, betrachtete all die geköpften Pflanzen und Kräuter, die zerfetzten Blätter, die abgerissenen Halme, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Solange Jeremy da gewesen war, hatte der Abgrund in ihr sie nicht geschreckt. Es war ihr vorgekommen, als nähme Jeremy sie bei der Hand und führte sie behutsam an den Rand dieses Abgrunds. Solange Jeremy da gewesen war, hatte sie sich sicher gefühlt. Doch mit jedem Monat, der ohne ihn verstrich, geriet Grace mehr und mehr aus dem Gleichgewicht. Das Dunkle, Wilde, Ungezügelte in ihr, von Jeremy erst wirklich zum Leben erweckt, schien an Macht zu gewinnen und das Sonnige, das Fröhliche in ihr zu verdrängen.
    Grace’ Knie zitterten, und von Schwäche übermannt, suchte sie Halt an einer Eiche. Erschöpft legte sie die heiße Stirn an den Stamm, und ihr stoßweiser Atem ging in Schluchzen über.
    Was sie an jenem Gartenfest zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, an jenem Tag auf Estreham, als sie während des Gewitters versprach, Jeremys Frau zu werden, noch für unmöglich gehalten hatte, drohte nun einzutreten: dass Grace nicht wusste, wie sie das Warten ertragen sollte. So viele Tage und Wochen, fast zwei Jahre nun schon. Zwei Jahre ihres Lebens, das noch gar nicht wirklich begonnen hatte.
    Die Gerte glitt ihr aus der Hand, und Grace breitete die Arme aus, umschlang den Stamm der Eiche, so fest sie konnte. So fest, dass die Stäbe ihres Korsetts unter dem Kleid ihr in dieHüften stachen und ihr Schambein unter dem Druck schmerzhaft brannte. Wie eine Katze, die danach verlangt, gestreichelt zu werden, rieb sie ihr Gesicht gegen die Rinde. Sie zuckte nicht einmal zusammen, als sie ihre Wange an der rissigen Borke aufschürfte, sie genoss vielmehr das Brennen, das Heraussickern winziger Blutströpfchen, die die raue Haut des Baumes benetzten.
    »Bitte komm zurück, Jeremy«, murmelte sie gegen den unbeugsamen, starken Leib der Eiche. »Bitte komm zurück. Ich gehe ein ohne dich.«

24
    Der Sudan. Ein ungeheuer großes, weites Land, das im Grunde gar kein richtiges Land war, dessen Wesen derart schemenhaft blieb unter seiner greifbar, fühlbar schroffen Schale. Ein Land, dem der Mensch in seiner Willkür zwar Markierungen gesetzt, dem die Natur jedoch jegliche Eindeutigkeit verweigerte. Nur im Norden waren die Grenzen des Sudan festgelegt, eine scharf gezogene waagerechte Linie auf den Karten und in den Köpfen, auf halber Strecke zwischen dem Handelsstädtchen von Wadi Halfa und dem Tempel von Abu Simbel. Die Küste entlang des Roten Meeres beschnitt den Sudan im

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