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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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du verstanden?!«
    Als Jeremy unten in den Hof trat, kniff er die Augen zum Schutz gegen das gleißende Sonnenlicht zusammen, und seine Mundwinkel kerbten sich in einem Ausdruck von Zufriedenheit ein.
    York Place, den 29. Juli 1884
    Simon, mein Liebster –
    ich muss Dir das auf der Stelle schreiben, ich sterb platze sonst gleich vor Freude: Ich habe bestanden! Ich habe meinen Abschluss am Bedford! Sogar mit »Sehr gut«!! Ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe – die schriftlichen Arbeiten gingen mir erstaunlich leicht von der Hand! Vielleicht wäre sogar ein »Ausgezeichnet« daraus geworden, wenn ich mich bei der mündlichen Prüfung in Kunst nicht verhaspelt hätte und dann einige schreckliche – ganz, ganz schreckliche!! – Augenblicke lang nicht mehr weiterwusste. Zum Glück fing ich mich dann aber schnell wieder. Ich war so nervös am Morgen der mündlichen Prüfung, ich musste mich beinahe überge mir war richtig übel vor Angst. Jetzt bin ich einfach nur unheimlich stolz und glücklich.
    Beinahe jedenfalls ... Traurig bin ich, dass Du jetzt nicht hier sein kannst – ich würde Dir so gern mein Zeugnis zeigen! Liebe Grüße von Grace an Dich und an die anderen! Sie ist schon fleißig am Packen – das muss ich nachher auch noch tun, denn übermorgen geht es für uns wieder nach Hause. Grace hat auch bestanden, mit Auszeichnung, und sie überlegt, ob sie jetzt noch das Examen für den Master ablegen soll; könne ja nicht schaden, findet sie. Die ganzen letzten Wochen war ich so sehr auf die Prüfungen konzentriert, dass ich gar nicht weiter darüber nachgedacht habe, was danach kommen könnte. Erst jetzt, da sich die erste Aufregung legt – ich könnte den Bachelor machen, wie Grace, das geht auch in Kunst und Musik. Oder aber – oh, Simon, ich habe noch eine großartige Neuigkeit! Miss Sidgwick hat mir eine Stelle als Hilfslehrerin angeboten! Miss Martineau hätte mich gern als Unterstützung für ihren Unterricht – mich, Simon! Ich weiß nur nicht, wie ich das Papa beibringen soll ... Auch wenn ich im März dann mündig bin, werde ich sein Einverständnis brauchen.
    Im August fahren Grace und ich für zwei Wochen nach Somerset! Deine Eltern waren so überaus großzügig und lieb, uns nach Bellingham Court einzuladen. Ich bin ganz aufgeregt, wenn ich daran denke, dass ich dann das Haus sehen werde, in dem Du groß geworden bist, all die Plätze Deiner Kindheit! Ich wünschte nur, Du könntest sie mir zeigen – aber das holen wir nach, ja? Sobald Du wieder hier bist.
    Ich wünschte auch, ich könnte die Tage zählen, bis ich Dich wiedersehe; dass das nicht möglich, so unbestimmbar und nebelhaft ist, kann ich kaum aushalten. Und manchmal glaube ich, ein Teil von mir hat sich der Zeit gänzlich entzogen, und dieser Teil weilt noch immer auf Estreham, mit Dir, während das Gewitter draußen niedergeht ... Wie in einem Kinderspiel suche ich mir immer ein Datum aus, auf das ich hinlebe, weil ich überzeugt bin, dass ich Dich dann wiedersehe. Weihnachten letztes Jahr. Ostern dieses Jahr. Meine Prüfungen jetzt im Juli. Vielleicht dieses Weihnachten? Aber bestimmt, bestimmt doch an meinem Geburtstag, nicht wahr? Es ist der 14. März, vergiss das nicht!
    Gib auf Dich acht, mein Liebster, und komm schnell zurück zu mir. Ich sende Dir für jeden Tag, den Du noch fortbleibst, eine Handvoll Küsse und für jede Nacht noch einmal so viele.
    Für immer die Deine,
Ada

27
    Assuan, den 23. August 1884
    Liebe Grace,
    ich schreibe Dir in aller Eile, so wie die anderen gerade auch noch schnell einige Zeilen nach Hause verfassen – wir sind im Aufbruch begriffen. Genaueres wissen wir auch noch nicht, nur dass es ohne Zweifel hinunter in den Sudan geht, nach Khartoum. Wahrscheinlich hörst Du nichts mehr von mir, bis wir von dort zurück sind. Ich melde mich aber, sobald ich kann.
    Jeremy
    Grace rieb mit der behandschuhten Faust ein Guckloch in die von innen beschlagene Scheibe der Kutsche. Draußen zuckelte der Dezembernachmittag in Lavendelblau und Steingrau vorüber. Felder und Wiesen schlummerten unter einer dicken Schneedecke, und die Bäume, die aussahen, als frören sie ohne ihr Laub, hatten sich flauschige Mützen über die kahlen Äste gezogen. Die ersten Häuser von Guildford tauchten auf, und als lotrechte Säulen stieg der Rauch aus den Schornsteinen in den bleiernen Himmel auf.
    Der Wagen hielt, und Grace fuhr zusammen, warf schnell einen Blick hinaus und nahm die Füße in den Stiefeletten vondem

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