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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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recht glücklich. Der Stoff war ihr viel zu theoretisch und schien ihr eher dazu angetan, höheren Töchtern das Wissen zu vermitteln, wie sie ihre Mitgift gewinnbringend in Gemälden und Statuen anlegen könnten. Mit dem, was Ada wirklich am Herzen lag, hatte der Bachelor nur wenig zu tun. Sie ertappte sich ab und zu dabei, wie ihr Weg durch das College sie ganz zufällig am lichtdurchfluteten Zeichensaal im rückwärtigen Teil des Gebäudes vorbeiführte, wo sie sehnsüchtig durch die Fenster hineinspähte. Und jedes Mal machte ihr Herz einen Sprung, wenn sie sich vorstellte, sie könnte jetzt dort drin umhergehen und den Mädchen Hilfestellung geben, wenn es um die Perspektive ging, oder dabei, die Beschaffenheit einer Blüte zu erspüren und dann auch lebensecht auf das Papier zu bannen. Und als sie gestern Abend, am zweiten Tag, den die Schwestern für die bevorstehenden Feiertage wieder auf Shamley Green waren, nach dem Dinner ihrer Mutter unter vier Augen das Herz ausgeschüttet hatte, hatte diese ihr versprochen, noch einmal den Versuch zu wagen, den Colonel zu überreden. Was ihr ganz offensichtlich noch nicht gelungen war.
    Grace ging zu der geschlossenen Tür und horchte, und als wäre Ada erst jetzt darauf gekommen, eilte sie hinzu und schob ihre Hand in die Hand ihrer Schwester.
    »... ich bitte dich, William, hol ihn zurück!«, konnten sie ihre Mutter rufen hören, mit einer Stimme, in der sich Verzweiflung und Zorn mischten.
    »Das kann ich nicht, und das weißt du auch!« Der Colonel klang verärgert. »Selbst wenn ich wollte, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit!«
    »Ist dir denn vollkommen gleichgültig, was dort unten mit unserem Sohn geschieht?«
    »Himmel noch eins!« Die beiden Mädchen zuckten zusammen, als es drinnen im Zimmer einen dumpfen Schlag gab, als ob ihr Vater mit der Faust auf den Tisch gehauen hätte. »Er ist Offizier, Constance, und Offiziere ziehen nun einmal in den Krieg!«
    »Er ist Offizier geworden, weil du ihm keine andere Wahl gelassen hast!«
    »Ich erinnere dich immer wieder gern daran, dass es durchaus auch in deinem Sinne war, ihn erst nach Sandhurst zu schicken und dann in die Armee!«, fauchte der Colonel wie ein angeschossener Tiger.
    Die Stimme ihrer Mutter wurde so leise, dass Grace und Ada sie kaum noch verstehen konnten. »Ich weiß. Eine Zeit lang war ich genauso überzeugt wie du, es würde ihm auf lange Sicht guttun. Und glaub mir, ich habe mir seither deshalb oft Vorwürfe gemacht. Ich hätte meine Bedenken nicht so leicht über Bord werfen sollen. Ich hätte zu Stephen halten müssen – wie eine Mutter es immer tun sollte.« Einige Herzschläge lang blieb es still. Als Constance wieder das Wort ergriff, klang sie näher, so als stünde sie gleich hinter der Tür. »Sollte ihm etwas zustoßen, so werde ich mir das nie verzeihen. Und ich fürchte, dir ebenso wenig.« Unter einem feinen Klicken drehte sich der Knauf, und die Tür ging einen Spalt auf, worauf die Schwestern eilig zurück zur Treppe hasteten. »Ich bitte dich nur um eins: Lass uns nicht denselben Fehler bei Ada machen. Denn dass unsere Kinder ein glückliches Leben haben, das war doch immer unser gemeinsames Ziel.«
    In der halb geöffneten Tür blieb Constance stehen, das Gesicht noch zum Raum hingewandt. Es schien so, als wartete sie auf eine Erwiderung, und als diese ausblieb, trat sie aus dem Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Sie erschrak, als sie ihre Töchter erblickte, die sie ihrerseits ansahen, beunruhigt, beinahe ängstlich, Hand in Hand wie die kleinen Mädchen, die sie einmal gewesen waren. Constance ging auf sie zu und schloss sie beide in die Arme, und Grace und Ada schmiegten sich eng an sie.
    Dieser Aufstand , dachte Grace, dieser Aufstand im Sudan – er ist wie ein fremdes, heimtückisches Insekt, das hierher eingeschleppt wurde. Und nun macht es sich daran, das Fundament anzunagen, auf dem unser Leben bislang so sicher geruht hat.
    Es war der letzte Tag des Jahres 1884, und in Devon wanderte Nathaniel William Frederick Edward Ashcombe, der achte Earl of Ashcombe, durch das winterdürre, zitternde Gras oben auf den Klippen. Neben ihm sprang eine bellende Hundeschar einher, eine bunte Mischung aus Settern und Spaniels und Weimaranern. Unter ihnen kochte das aschgraue Meer und klatschte tosend gegen die ziegelrote Felswand. Ein kalter Wind fegte vom Wasser her über die Küste, zerwühlte dem Earl das dunkle Haar, zerrte an den Enden seines Schals und riss an

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