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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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strömt der Weiße Nil herauf, gestärkt durch die Zuflüsse des Bahr al-Jabal und des Bahr el-Ghazal. Von Osten her, aus dem See von Tana, kommt der Blaue Nil, rein und unverfälscht. Im Herzen des Sudan begegnen sich beide Flüsse und zeugen und gebären zugleich den großen Nil, und die schmale Stelle, wo sie sich vereinen, nannten die Araber al-khartum – Elefantenrüssel.
    Fünfzig Jahre zuvor war die Stadt von Khartoum noch ein Fischerdorf gewesen, nicht mehr als eine Ansammlung kegelförmiger Erdhütten mit Grasdächern. Mit dem Einmarsch der Ägypter änderte sich dies schnell. Die günstige Lage an den Wasserwegen war wie geschaffen für eine Stadt, von der aus der Sudan regiert und verwaltet würde. Der erste hikimdar , der ägyptische Generalgouverneur im Sudan, ließ eine Moschee errichten, ein Hospital, eine Garnison und nicht zuletzt einen Palast für sich selbst, ein eindrucksvolles U-förmiges Gebäude aus rotem Backstein unmittelbar am Wasser. Soldaten stießen über den Nil weiter nach Süden vor und brannten Schneisen durch dieundurchdringlichen, malariaverseuchten Sümpfe des Südens, und nach ihnen kamen die Glücksritter, gierig nach Elfenbein und nach Sklaven; ein skrupelloser Menschenschlag, der Dörfer überfiel und die Menschen unter Folter dazu brachte, ihnen das gehortete Elfenbein zu übergeben. Hatten sie es in ihren Besitz gebracht, brannten sie die Hütten nieder, schlachteten die Bewohner ab, nahmen das Vieh mit und gaben es dem Nachbardorf, das ihnen von dem Elfenbeinschatz erzählt hatte. Wen sie am Leben ließen, die ganz jungen und kräftigen Männer und die Frauen und Kinder, der musste ihnen das weiße Gold zu den Booten am Nilufer schleppen und wurde dann mit zusätzlichem Profit in den Norden verkauft.
    Khartoum wuchs durch den Handel mit Elfenbein und mit Sklaven. Khartoum war die Stadt, in der sich alle Wege kreuzten, die über das Wasser ebenso wie die Landwege der Karawanen. Sklaven wurden hier gehandelt, Straußenfedern und Elfenbein, Gummi arabicum aus Darfur im Westen und aus Abessinien im Osten, und Baumwollstoffe und Eisenwaren aus Ägypten gelangten gegen klingende Münze von hier aus weiter in den Sudan. Dabei ließ Khartoum seine Anfänge als Handelsniederlassung nie ganz hinter sich; dafür war die Stadt zu schnell ins Kraut geschossen, zu wenig einer ausgeklügelten Planung unterworfen gewesen. Die Palmenhaine, die die Ufer des Blauen Nils beschatteten und kühlten, zogen sich an der Stadt entlang bis zum Fort Mukran, und in den Straßen von Khartoum konnten ungehindert wilde Bäume wuchern. Für die Frauen der Stadt war das Waschen der Wäsche am Fluss nicht ungefährlich, weil die gierigen Krokodile mit ihrem reißzahnbewehrten Maul nie weit waren, ebenso wenig wie Flusspferde, Löwen und die mächtigen Rhinozerosse. Die saggiyas , die knarzenden und quietschenden hölzernen Wasserräder, waren zwar über die Jahre durch dampfgetriebene Pumpen ersetzt worden, aber noch immer strömten unablässig Sklaven und Träger vom Blauen Nil über die Pfade zwischen den Gärten hinauf und wieder hinunter, um das kostbare Nass Krug um Krugin die Stadt und zu ihren Herren zu bringen. Hausboote, die Nussschalen der Fischer, bewaffnete Handelsschiffe und kleine, flache Dampfer schaukelten auf dem dreifachen Antlitz des Nils. Und während sich jenseits des Flusses strohgedeckte Hütten und Behausungen aus Lehm um zwei Basare und eine Moschee in der Senke aneinanderkauerten, die sich beim Ausheben des Bodens für die Ziegel zum Bau der Stadt gebildet hatte, wachte auf der anderen Seite der Doppeladler Österreich-Ungarns über das Konsulat des Kaiserreichs, über das Telegraphenamt und über die Poststation nebenan sowie über die Katholische Mission der Jesuiten, die die Mimosenbäume, die Feigen, den Jasmin und die Bananen in ihrem Garten mit Hingabe pflegten. Zu der Mission gehörten ein Kloster mit einer Bibliothek, einem Kreuzgang und außerdem eine Schule – und natürlich eine Kirche, deren Glockenschlag mehrmals am Tag durch die Stadt schallte und sich in das Läuten der koptischen Kirche wob. Für die Europäer der Stadt ein Klang, der sowohl Trost spendete als auch das Heimweh nährte, inmitten der arabischen und afrikanischen Sprachfetzen und dem Gesang tropischer Vögel. Regen und Flut brachten nicht nur Froschgequake, sondern auch Malaria; trockene Zeiten brachten Sandstürme, die auf die Hauswände einhackten und sie pockennarbig zurückließen – und trotzdem,

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