Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
trotzdem blühte Khartoum auf dem Dünger des Handels und schillerte in den Farben eines bunten Gemischs aus Nationalitäten und Kulturen. Italienische Ordensbrüder und Ordensschwestern, Österreicher und Ungarn, Griechen, Briten und Franzosen, Syrer, Osmanen, Tscherkessen und Ägypter, Albaner und Armenier. Langbeinige Frauen der Dinka und der Shilluk gingen neben tiefschwarzen Nubierinnen einher, das Haar zu phantasievollen Kunstwerken geflochten, und die Männergesichter der Ja’alyyin unter den viele Male um den Kopf geschlungenen weißen Turbanen erinnerten an knittrige Teeblätter.
Khartoum war vielleicht nicht die schönste Stadt Afrikas, aber gewiss eine Stadt, auf die man stolz sein konnte. Und vielleichtwar es dieser Stolz, vielleicht war es auch eine gewisse Nostalgie als ehemaliger Gouverneur der Stadt, die Major General Sir Charles George Gordon dazu bewogen hatte, nicht einfach nur die Stadt räumen zu wollen. Für seine Kühnheit während des Taiping-Aufstandes vom Kaiser von China ausgezeichnet und seither achtungsvoll Chinese Gordon genannt, bei seinem Einzug in Khartoum gefeiert und bejubelt wie ein Held, war Gordon streitbar und eigensinnig und nicht weniger schillernd als Khartoum selbst. Weitblickend hatte er versucht, unter den Sheikhs und Sklavenhändlern der Gegend Verbündete gegen den Mahdi zu gewinnen, indem er die Zustände in der Stadt verbesserte. Er ließ Lebensmittel aus den Vorräten des Palastes verteilen, und Gefangene, die ohne rechtliche Grundlage im Gefängnis saßen, erhielten ihre Freiheit; die Steuerunterlagen des Khediven und die kurbashs wurden öffentlich verbrannt, die Steuern halbiert und das Verbot der Sklaverei aufgehoben. Ein geschickter Schachzug, um die Bevölkerung hinter sich zu bringen und sie dem Mahdi abspenstig zu machen, ein taktisch kluges Manöver, das die Rebellion jedoch nicht mehr aufhalten konnte in diesem unzusammenhängenden, mehrdeutigen Land, das sich unter dem Mahdi zum ersten Mal vereint hatte. Gegen alle Fremden. Gegen alle, die nicht dem Islam anhingen.
Und nun brandete der Aufstand an die Mauern Khartoums. Zehntausend Zivilisten waren nach dem Fall des benachbarten Forts von Omdurman, jenseits des Weißen Nils, zu den Mahdisten übergelaufen; der Rest, zwanzigtausend Männer, Frauen und Kinder und neuntausend von Gordon befehligte ägyptische Soldaten, harrten in der belagerten und umkämpften Stadt aus. Ende Dezember waren alle Nahrungsvorräte aufgebraucht. Ein Suchtrupp durchstöberte jedes Haus, jeden Garten, jedes Stück Land und fand zwar noch einige vergrabene Säcke Getreide und ein paar Lebensmittel in verlassenen Geschäften. Doch dies war gerade genug für den hohlen Zahn, reichte nicht einmal für ein paar Tage. Esel wurden geschlachtet, Maultiere, Pferde, das ausgemergelte Vieh; dann schlachtete man die räudigen Hunde und die Ratten auf den Straßen.
Die Menschen aßen alles. Gummi arabicum, der in Verbindung mit dem Wasser im menschlichen Körper die Gliedmaßen grotesk anschwellen ließ. Palmfasern und das Mark, das sie aus den Stämmen gefällter Palmen herauskratzten. Die Tierhäute, aus denen Wasserschläuche gefertigt wurden. Kein Tag verging, an dem Menschen nicht hungers starben, einfach auf der Straße tot zusammenbrachen, und die noch lebten, hatten keine Kraft mehr, sie zu begraben. Der Mahdi ließ Briefe an Gordon überbringen, in denen er ihn zum Aufgeben drängte, ihm zuletzt freies Geleit zusicherte, wenn er ihm die Stadt überließ. Gordon aber hatte geschworen, Khartoum und seine Bewohner zu schützen, und lehnte ab. Als der Mahdi zu guter Letzt noch einmal einen Abgesandten mit der ewig gleichlautenden Botschaft zu ihm schickte, lautete Gordons Antwort: Ich werde nicht gehorchen, sondern hierbleiben und zusammen mit der Stadt untergehen.
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Im Norden des Sudan zeichnet der Nil in einer weiten Schleife ein Fragezeichen in die Landschaft, zu dem Khartoum der Punkt darunter ist. Diese Biegung des Nils umschließt die Wüste von Bayuda, die kleine Schwester der großen Nubischen Wüste, und im Januar 1885 nach christlicher Zeitrechnung erlebte die Wüste von Bayuda ein noch nie da gewesenes Schauspiel.
Eine dunkle Wand kroch über den harten Grund aus Sand und Stein, auf dem nur ein paar verkrüppelte Dornbüsche wuchsen. In der Morgensonne mit ihrem harten Licht und in der tief stehenden Sonne des Nachmittags, die die Wüste zu zähflüssigem Metall schmelzen ließ, schoben sich Schatten unter der Wand
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