Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
hervor, lang und dürr wie tausend Spinnenbeine, die vorwärtszogen, immer weiter vorwärts; nur um die Mittagszeit, wenn die Sonne senkrecht stand, schwebte die Wolke schattenlos über dem Boden.
In Äonen hatte der Wind den Boden abgeschmirgelt, die Ebenen aus grauem Ton dazwischen rissig und schrundig gegerbt. Messerscharf und wie zersplitterte Kohle ragten Steinstückchen heraus, die jedoch für die Hufe der Kamele kein Hindernis darstellten. Gleichmütig trotteten sie in dem aufgewirbelten Staub dahin, Dutzende von Kamelen, eines neben dem anderen, eine Reihe zu vierzig nach der anderen, eine breit gezogene Kolonne der sprichwörtlichen Schiffe der Wüste, die sich lautlos vorwärtsbewegten. Umso geräuschvoller waren die Stimmen ihrer Reiter,lebhaft, vergnügt, geradezu aufgekratzt, so als müssten sie die stillen Schritte ihrer Reittiere, so ungewohnt nach dem altvertrauten Geklapper von Pferdehufen, übertönen, während die Hufschläge der schlanken, schnellen Husarenrösser sich in der Weite der Wüste verloren. Vielleicht aber waren diese Reiter auch einfach aufgeregt und glücklich, in dieses Abenteuer aufzubrechen, für das erwählt zu sein sie die Ehre hatten, in grauen Uniformröcken und in ockergelben Hosen, mit einst weißen, jetzt mit einer Mischung aus Schlamm und dem Sud aus Akazienrinde braun eingefärbten Helmen und auf Kamelsätteln, so rot wie Blut.
Es waren die Offiziere und Soldaten der Wüstenkolonne Wolseleys, am 30. Dezember von ihrem Lager in Korti, fast am Anfang des Fragezeichens im Lauf des Nils, aufgebrochen, um die Wüste von Bayuda nach Metemmeh zu durchqueren und von dort aus nach Khartoum vorzudringen. Die Besten der Besten waren es, die sich auf den Weg gemacht hatten, Gordon und die Menschen von Khartoum zu befreien, insgesamt achttausend Mann. Während fünftausend Mann in Korti verblieben, um den Weg für den Rückzug freizuhalten, waren die restlichen dreitausend aufgeteilt worden. Eine Hälfte nahm den beschwerlichen Weg über den Nil auf sich, entlang der Biegung des Fragezeichens, bei dem Schluchten und vor allem drei der insgesamt sechs gefürchteten Katarakte des Flusses zu überwinden waren, Stromschnellen über Felskanten und über Granitbarrieren, die besonders jetzt, im Winter, da der Fluss nur wenig Wasser führte, mit den Booten kaum passierbar waren. Drei Katarakte, von denen man wusste; was der Flusslauf des Nils auf seinem Grund noch verbergen mochte, war zum Teil noch nicht kartographiert und noch unbekannt. Die über zweihundert Walfänger, die Vorräte für die Truppen und für Khartoum enthielten, würden mittels Seilen und der Muskelkraft von Mensch und Tier über die Katarakte gehievt werden müssen. Ein kleiner Kavallerieverband, halb englisch, halb ägyptisch, würde zudem die Ufer entlang des Weges im Auge behalten. Der andere, etwas kleinere Verbandvon elfhundert Mann nahm in zwei Gruppen nacheinander den schnelleren, aber kaum weniger beschwerlichen Weg durch die Wüste von Bayuda, und unter dieser Vorhut befand sich auch das Royal Sussex.
»Ach, Jungs«, seufzte Royston aus der Tiefe seines Leibes und sah sich um, »ist das nicht ein herrliches Fleckchen hier?« Beseelt ruhte sein Blick auf dem Amphitheater aus zerklüftetem und gespaltenem Stein, das sich unter ihnen auftat. Leonard, Stephen und Jeremy, die mit ihm auf der Kante der Felswand saßen, mit den Beinen baumelten und rauchten, grinsten sich an.
»Als wir hier angekommen sind, hat es mir bedeutend besser gefallen«, meinte Stephen wehmütig. Vorgestern waren sie hier angelangt, bei den Brunnen von Jakdul, nach ihrem etwas mehr als dreitägigen Marsch durch die Wüste von Bayuda, jenseits einer Landschaft, die dem Brett eines kostbaren Damespiels aus Onyx und Bernstein glich, durchsetzt mit sanft gekräuselten Sanddünen. Drei Brunnen waren es, während der Regenzeit gefüllte natürliche Becken, die am Tag ihrer Ankunft noch eisig grün glänzende Flächen gewesen waren, so tief, dass der Grund unter dem klaren Wasser schwarz gewirkt hatte. Die Felsen waren mit Gräsern bewachsen, und zuweilen schossen scharlachrote Libellen surrend durch die Luft, die kühl war und nicht nur den Leib, sondern auch die Seele erfrischte. Nachdem sie mit Eimern Ketten gebildet hatten, um die Kamele zu tränken, selbst den schlimmsten Durst zu löschen und ihre Vorräte aufzufüllen, war vom Wasser in den Brunnen nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Morgen würden sie deshalb in Richtung Abu Klea
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