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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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ermattet, wog nur kurz die Möglichkeiten ab, die sich ihm boten. Nach der Anzahlder toten Derwische zu schließen, die er im Nachtlicht gesehen hatte, schien ein Sieg der britischen Truppen in Abu Klea mehr als wahrscheinlich. Allzu lange konnte er nicht bewusstlos gewesen sein, als die Derwische ihn aufgegriffen hatten. Wolseleys Männer waren in dieser Zeit bestimmt noch nicht sehr weit gekommen, würden aber ihren Vormarsch nach Khartoum fortsetzen. Und sobald die Stadt befreit war, würden gewiss auch Truppen in die weitere Umgebung ausschwärmen, auch hierher, nach Omdurman. Zum Verräter zu werden, das kam für ihn nicht infrage, einige Tage oder Wochen könnte er hier sicher aushalten, und so schüttelte er den Kopf. Slatins Blick verhärtete sich. »Mit dieser Einstellung werden Sie hier nicht lange überleben. Ich frage Sie zum letzten Mal: Wo befinden sich die britischen Stellungen, und was ist ihre Aufgabe?«
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Jeremy heiser. In dem Versuch, ein Schlupfloch zwischen Verrat und Hoffnung für sich selbst zu finden, fügte er hinzu: »Das entscheiden alles die Kommandeure. Wir in den unteren Rängen werden immer nur nach und nach über deren Pläne informiert, wenn überhaupt.«
    »Das wird keine Antwort sein, die den Mahdi erfreut.« Slatins Mund unter dem geschwungenen Schnauzbart wurde zu einem schmalen Strich.
    Jeremy kniff seine entzündeten Augen zusammen. »Eine andere kann ich ihm nicht geben.«
    Die Derwische, in deren Begleitung Slatin gekommen war, wurden unruhig, und als Slatins helle Augen zu ihnen hinüberhuschten, sah Jeremy die Angst darin. Als er sich jedoch wieder zu Jeremy hinwandte, blickten sie kühl, beinahe hochmütig. »Schön. Dann nehme ich das als Ihr letztes Wort und gebe es an den Mahdi weiter.« Er erhob sich und setzte leise hinzu: »Falls Sie die nächsten Tage überleben sollten, so rate ich Ihnen, mich schnellstmöglich holen zu lassen und mir dann zu sagen, dass Sie die Sache des Mahdi unterstützen und dem Mahdi die Treue schwören. Dass Sie zum Islam übertreten wollen, weil Sie erkannthaben, dass der Glaube an Allah die einzig wahre Religion ist. So wie ich es getan habe.«
    Jeremy war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, doch den Vorschlag, den Slatin an ihn herantrug, zog er gar nicht erst in Betracht. Er war als Christ geboren, war in der christlichen Welt aufgewachsen, und er würde auch als Christ sterben. Vor allem würde er ganz gewiss nicht zum Anhänger des Mahdi werden, auch nicht zum Schein. Nicht nach allem, was er in diesem Land gesehen hatte.
    »Vergessen Sie’s«, knurrte Jeremy, und ohne ein weiteres Wort ging Slatin davon, in Begleitung seiner Derwische, die vielleicht seine Entourage, vielleicht aber auch seine Bewacher sein mochten.
    Einige Zeit geschah nichts, bis zwischen zweien der Häuser am Platz ein ganzer Trupp Derwische hervorkam, bewaffnet mit Schwertern und Speeren, und ihr grimmiger Blick ließ nichts Gutes ahnen. Einer von ihnen bellte Befehle in seiner fremden Sprache, und vier Männer stürzten auf Jeremy zu. Zwei packten ihn an den Ellbogen und zerrten ihn hoch; der dritte löste ihm die Fesseln, während der vierte mit gezücktem Schwert dabeistand. Sie schleiften ihn aus dem Schatten heraus in die grelle Sonne, wo zwei andere Derwische bereits mit einem gefüllten Wassereimer, mit einem Seil und mit Holzscheiten warteten. Mit groben Griffen wurden ihm die Hände übereinandergelegt, Handflächen nach unten, und das Seil darumgeschlungen; eines der Holzscheite wurde unter das Seil geschoben und zugezwirbelt, bis das Seil Jeremys aufgescheuerte Handgelenke eng umschloss. Einer der Männer nahm den Eimer und goss Wasser auf das Seil, das sich sofort vollsog und aufquoll. Es begann zu brennen, und Jeremy biss die Zähne zusammen, keuchte mit nassen Augen, als der Schmerz immer heftiger wurde, geradezu unerträglich, weil sich das Seil immer tiefer und tiefer in die Haut fraß. Mit Entsetzen spürte er, wie es in seinen Händen zu pochen begann, wie sie anschwollen und stachen wie von Tausenden vonNadeln gepeinigt und dann allmählich taub wurden. Nicht meine Hände! Nicht meine Hände! Ich will nicht als Krüppel nach Hause zurückkehren! Ich will nicht zum Krüppel werden wie mein Vater! Nicht meine Hände!
    Die Menschen, die vorhin noch Abstand gehalten hatten, schoben sich näher. Einige begannen zu johlen, weitere stimmten ein, bis sich der Jubel zu einem rasenden Taumel steigerte. Blitzende

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