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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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auf Grace zu. »Sag, dass das nicht wahr ist, Gracie! Sag mir, dass es Simon gut geht!«
    Ada presste die Hände auf die Ohren, als könnte sie so all die Worte ausblenden, die, obwohl unausgesprochen, die schreckliche Wahrheit in sie hineinfrästen. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie krümmte sich und schluchzte auf, schlang die Arme um sich, als drohte sie auseinanderzubrechen. Es tat weh, so weh, als hätten die Speere der Derwische sich hierher verirrt, in diesen Raum, der für Ada immer ein Hort der Geborgenheit gewesen war, und stießen mitten in Ada hinein.
    Grace war sogleich bei ihr, drückte sie so fest an sich, wie sie nur konnte. Ada stieß einen hohen Klagelaut aus, dann schrie sie, schrill und gellend, als risse ihr jemand bei lebendigem Leib das Herz heraus.
    Grace führte ihre kleine Schwester behutsam zum Bett und setzte sich mit ihr, hielt sie im Arm, und Ada klammerte sich an sie wie eine Ertrinkende. Maud schlüpfte leise ins Zimmer und setzte sich dazu, die Arme um Adas Taille gelegt und das Gesicht an ihren von Schluchzern geschüttelten Rücken gepresst. Später kam Katherine herein, die sich auf dem Boden niederließ, Adas Knie umfasste und den Kopf in Adas Schoß legte. Und die ganze Zeit weinte Grace mit Ada, die ihren Liebsten verloren hatte und all ihre Träume und Hoffnungen, weinte um Simon, den Freund, den Kleinsten und Jüngsten der fünf, den man mit seinem Witz und seiner quirligen Lebenslust einfach gernhaben musste und der nun nicht mehr da war. Und in all diesen Stunden fegte ein makabres Ringelreihen aus Gedankenfetzen durch Grace’ Kopf.
    JeremyStevieLenRoystonStevieJeremyJeremyStevieLen. Royston. Jeremy. Stevie. Len. Bitte, lieber Gott. Bitte. Ich flehe dich an. Jeremy. Stevie. Len. Royston. Bitte nicht. Nicht sie auch noch. Bitte.

33
    Lincoln, den 23. Mai 1885
    Verehrte Miss Norbury,
    seitens des Ministeriums wurde mir mitgeteilt, dass mein Sohn Jeremy seit der Schlacht von Abu Klea am 17. Januar dieses Jahres als vermisst gilt. Auf meine schriftliche Erkundigung hin erhielt ich die Antwort, dass über sein Schicksal nichts Weiteres bekannt sei.
    Seine Habseligkeiten, die er beim Aufbruch seines Regiments nach Khartoum in der Kaserne von Cairo zurücklassen musste, hat man mir zugesandt. Darunter befanden sich auch zahlreiche mit Ihrem Absender versehene Briefe, die ich Ihnen hiermit zukommen lasse. Selbstverständlich habe ich sie ansonsten unangetastet gelassen. Allerdings war ich mir keiner Schuld bewusst, als ich den Gedichtband aufschlug und dabei die Widmung von Ihrer Hand an meinen Sohn darin entdeckte. Ich hoffe sehr, ich bin Ihnen damit nicht zu nahe getreten, und lege das Buch gleichfalls meinem Schreiben bei.
    Obwohl unsere Begegnung während der Parade in Sandhurst nun schon lange zurückliegt, denke ich oft und gerne daran. Da ich annehme, dass ein besonderes Band zwischen Ihnen und meinem Sohn bestand, möchte ich Ihnen sagen, dass meine Gedanken in diesen Tagen bei Ihnen weilen.
    Ich schließe Sie und Ihre Familie in meine Gebete ein. Und ich bitte den Herrn darum, dass er Ihren Bruder unversehrt zu Ihnen zurückkehren lässt.
    Herzlichst,
Ihre Sarah Danvers
    Die Hände auf dem Rücken verschränkt, ging Royston auf der Terrasse von Givons Grove auf und ab, von einem der riesigen liegenden Greifen auf seinem Steinsockel hinüber zu dem am anderen Ende und wieder zurück. Schließlich zwang er sich, stehen zu bleiben und auf den Garten in seiner Umfriedung aus roten Ziegeln hinunterzusehen, der in diesen Julitagen in voller Blüte stand. Die Sonne des frühen Nachmittags ließ das Blassrosa, Fuchsia und Schneeweiß, das Türkischrot und Kükengelb der Blüten im satten Sommergrün leuchten, und aus den Baumkronen jubilierten und trillerten die Vögel.
    Royston hatte sich noch nicht wieder daran gewöhnt, in England zu sein. Alles schien ihm fremd hier, so als sei er wesentlich länger fort gewesen als vier Jahre. Er erkannte alles wieder, erinnerte sich an so viele kleine Dinge, und doch schien ihm alles fern, geradezu entrückt, als betrachtete er bunt colorierte Photographien und nicht die Wirklichkeit. Selbst Givons Grove, wo er sieben Sommer seines Lebens verbracht hatte, selbst Lady Grantham, die ihn so herzlich willkommen geheißen hatte, ehe sie ihn hier auf der Terrasse bei einem Tee zu warten bat. Er griff in die Westentasche seines braunen Anzugs und zog seine Taschenuhr hervor, ließ den Deckel aufschnappen. Eine Dreiviertelstunde über der Zeit

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