Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
regeln war und wie man auf Ashcombe House während Roystons Abwesenheit mit dem Besitz verfahren würde. Der Tod des Earls und die damit verbundene Nachfolge Roystons hatten einen besonderen Umstand dargestellt, der ihm das vorzeitige Ausscheiden aus der Armee ermöglicht hatte. Und trotzdem war er erst jetzt, im Juli, nach England zurückgekommen.
»Hast du dich denn schon mit deinen neuen Aufgaben vertraut machen können?«
Royston Nigel Henry Edward Ashcombe, Viscount Amory, der neunte Earl of Ashcombe. Er würde Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen.
Royston verzog abwehrend das Gesicht und griff zu seiner Tasse mit dem längst kalt gewordenen Tee. »Ich war noch nicht zu Hause.«
»Wie bitte?!« Cecily sah ihn entgeistert an. »Nun lassen sie dich schon früher gehen, während mein Bruder tapfer in Cairo ausharrt und wir bangen müssen, dass sie ihn gleich in den nächsten Krieg schicken, und du kümmerst dich nicht einmal um dein Erbe?!«
Obwohl die Mission im Sudan gescheitert und für beendet erklärt und der Großteil der Truppen zurückbeordert worden war, bedeutete dies keineswegs für alle Regimenter ein Ende des Einsatzes. Ein kleiner Truppenverband sollte noch Suakin räumen, und das Royal Sussex wartete in der Kaserne von Qasr el-Nil darauf, wie sich die angespannte Lage zwischen Großbritannien und dem Zarenreich entwickeln würde. Nachdem der russische Vormarsch in Afghanistan als Bedrohung für die nördlichen Grenzen Britisch-Indiens empfunden wurde, hatte es im angespannten Verhältnis der beiden Großmächte zu brodeln begonnen. Sollte dieser Konflikt überkochen und in einen Krieg münden, würde das Regiment des Royal Sussex eines der ersten sein, das nach Afghanistan entsandt würde.
Royston spürte, wie zähe Wut in ihm emporkroch. »Ashcombe House verfügt über einen Stab von ausgezeichneten Verwaltern, und Lady E . ist nun auch nicht gerade weltfremd zu nennen. Der Besitz wird nicht gleich zusammenbrechen, wenn ich einige Wochen später komme und die Arbeit dort schultere. Ich bin weiß Gott kein Heiliger, Sis, aber mir war es bedeutend wichtiger, Stevie nicht allein zu lassen. Ihn nach Hause zu bringen. Das ist das Mindeste, was er von mir als seinem Freund erwarten konnte. Und was die Norburys von mir erwarten konnten.«
»Wie geht es ihm?«, kam es unvermutet sanft und leise von Cecily.
Roystons Brauen zogen sich zusammen, während er mit dem Teelöffel spielte, und seine Kiefermuskeln spannten sich hart an. »Nicht gut«, sagte er dann. »Es ist nicht nur das körperliche Leiden – Stevie ...« Er atmete schwer aus. »In Stevies Gemüt ist etwas kaputtgegangen dort unten.« Royston lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, sah mit gefurchter Stirn auf den Garten hinaus. »Dieser verdammte Krieg ...«, murmelte er, und es klang gleichermaßen müde wie zornig. »Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, wir könnten die Zeit noch einmal vier Jahre zurückdrehen.« Stevie. Simon. Jeremy. Der Schmerz, der immerzu da war, pochte heftiger und lauter, und bevor er ihn gänzlich übermannte, setzte Royston sich wieder auf und löste seine Hände, beugte sich vor und streichelte mit dem Finger über Cecilys Unterarm. »Lass uns über etwas Schöneres reden ... Hast du dir schon überlegt, wann unsere Hochzeit stattfinden soll?«
Cecily nippte an ihrer Tasse und mied seinen Blick. Sachte stellte sie die Tasse ab, setzte sich auf ihrem Platz zurecht und legte die Hände in den Schoß, eine Geste, die gleichermaßen unschuldig wie abweisend wirkte. »Es tut mir leid, Royston, aber ich kann dich nicht mehr heiraten.«
Royston starrte sie an. Dann hob er eine Braue und verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Sis, wenn das einerdeiner Scherze sein soll, kann ich im Augenblick nicht so recht darüber lachen!«
Ihre Augen weiteten sich. »Das ist kein Scherz. Das ist mein Ernst, Royston.«
»Warum, Sis?« Royston fühlte sich wie ein Steinblock, ebenso starr und kalt, und doch zitterte etwas in ihm voller Qual, etwas Kleines, Zartes, wie ein Pflänzchen unter zu harschem Wind.
Sie wich seinem Blick aus und zupfte ihre Ärmelrüschen zurecht. »Wegen deines Vaters«, kam ihre leise Antwort. »Deine Familie hat sich zwar alle Mühe gegeben, aber es wird überall gemunkelt, dass es womöglich doch kein Unfall während der Jagd war.«
Unter Roystons Auge zuckte ein Muskel. In den Kreisen der Ashcombes stellte ein Freitod einen ungeheuren
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