Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
... Ob das etwas zu bedeuten hatte? Nein, wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich hatte sich Cecily einfach noch dreimal anders besonnen, was sie anziehen sollte; das sähe ihr zumindest ähnlich. Ein kleines Lächeln zuckte um Roystons Mund, ein Lächeln ohne jeglichen Spott, dafür belustigt und voll zärtlicher Sehnsucht. Mit einem Klicken schloss er den Deckelund steckte die Uhr wieder zurück, strich über seinen Anzug, der fast vier Jahre lang in der Kaserne von Chichester wohlverstaut im Schrank gelegen hatte. Er passte nicht mehr gut, denn die Maße, für die er damals geschneidert worden war, waren in der Wüste des Sudan geschrumpft. Durch Hunger und Durst und durch die Tortur von Märschen und Ritten und Hitze und Kampf hatte Royston eine beinahe schon sehnige Schlankheit erlangt. Ein Körpergefühl, das ihm nicht behagte; wie ein schwankendes Schilfrohr fühlte er sich, und er hätte es vorgezogen, wieder gewichtig in sich zu ruhen, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. So wie früher. Für den Übergang würde er sich dennoch neue Anzüge schneidern lassen müssen. Für den Übergang zurück in ein normales Leben. Captain Royston Ashcombe stand auf seinen Entlassungspapieren aus Chichester. Er war entschlossen, sie tief unten in irgendeinem Schrank zu vergraben und nie wieder hervorzuholen, genauso wenig wie den grässlichen Orden mit den Spangen am blau-weißen Band, in die die Namen und Daten der Schlachten eingraviert waren. Ein Sinnbild für Tage seines Lebens, die er am liebsten aus seinem Gedächtnis verbannt hätte. Wenn sie sich schon nicht ungeschehen machen ließen.
»Schau nicht zurück, Junge«, knurrte er sich selbst an. »Schau nach vorn!«
»Seit wann sprichst du mit dir selbst?«, rief eine glockenhelle, lachende Stimme hinter ihm, und er drehte sich auf dem Absatz um. »Hallo, Royston!«
Für einen Moment musste er die Augen zusammenkneifen, so sehr war er von ihrer Schönheit geblendet, von ihrer sahnig hellen Haut, dem silberblonden Haar, den großen Augen, die über dem lichtblauen Kleid aus seidigem Stoff an kühle, klare Bergseen erinnerten. So viel schöner war sie als das Bild von ihr, das er die ganze Zeit über in seiner Erinnerung getragen und lebendig gehalten hatte, einem zauberhaften tropischen Falter gleich.
»Sis!« In wenigen Schritten war er bei ihr, riss sie an sich, hob sie hoch und wirbelte sie herum.
»Nicht, lass mich runter«, quiekte sie unter Gekicher auf, und er gehorchte, setzte sie vorsichtig ab, drückte sie dann umso fester an sich, presste seinen Mund auf ihr Haar, ihre Schläfe, ihre Wange, sog ihren Duft nach Maiglöckchen ein.
»Mein Gott, Sis, ich hab mich so nach dir gesehnt«, raunte er zwischen seinen Atemzügen, die jeden Moment in Schluchzer zu kippen drohten. »Die Zeit war endlos ohne dich!«
Er wollte sie auf den Mund küssen, doch sie bog den Kopf zurück, stemmte die Hände gegen seine Brust, wand sich und zappelte so lange in seinen Armen, bis er sie freigab, ihre Hand aber festhielt.
»Nicht doch«, schalt sie ihn lachend. »Wenn uns jemand sieht!«
»Das hat dich doch früher auch nicht gestört«, gab er mit einem tiefen Lachen zurück und ließ nur widerstrebend ihre Hand los, als sie zum Tisch trat und sich mit der Teekanne beschäftigte.
»Magst du auch ... ach, du hast ja schon!« Sie schenkte sich ein und setzte sich. Royston schob seinen Stuhl näher zu ihr und ließ sich ebenfalls nieder. Er nahm ihre Hand in die seine, streichelte über die Finger, über den diamantbesetzten Opalring, hob sie an sein Gesicht und küsste sie, legte seine Wange hinein, in diese Handfläche, die so zart und so weich war wie die Blütenblätter des Jasmins. »Oh Sis«, murmelte er, »es tut so gut, dich zu sehen. Dich zu spüren. Ohne den Gedanken an dich hätte ich das alles nicht überstanden.«
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und entzog ihm dann die Hand, um nach der Zuckerdose zu greifen. »Red keinen Unsinn. Mein Beileid übrigens noch zum Ableben deines Vaters.«
Ihre Bemerkung traf ihn wie ein heftiger Schlag in die Magengrube, und seine Züge verhärteten sich. Er legte die Arme auf die Knie, senkte den Kopf und verschränkte die Hände. »Danke.«
Zu Tode erschöpft waren sie Anfang März wieder im Lager von Korti angekommen, und dort hatte ein Telegramm auf Royston gewartet, und Briefe von seiner Mutter und seinenGeschwistern, die ihn über die näheren Umstände in Kenntnis gesetzt hatten und auch darüber, was nun zu
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