Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Skandal dar, und aus Sicht der Kirche war es eine Todsünde. Lady Evelyn, sein Bruder und seine Schwestern waren dahingehend übereingekommen, die gängige offizielle Version eines Unfalls anzugeben, nicht zuletzt, damit der Earl ein christliches Begräbnis bekam, und auch Lord Basildon und Lord Osborne hatten sich in diesem Sinne schützend vor die Familie ihres Schwiegervaters gestellt. Der Earl war bereits bestattet worden, bevor Royston von dessen Tod erfahren hatte, und dennoch hätte er nicht anders gehandelt, wenn die Entscheidung darüber in seinen Händen gelegen hätte.
Er klammerte sich an einen blassen Funken der Hoffnung. »Wenn es deine Eltern sind, die deshalb Schwierigkeiten machen, Sis, dann spreche ich gern –«
»Nein, Royston. Das ist ganz allein meine Entscheidung. Du hast gewiss Verständnis, dass ich in eine Familie mit einem solchen Schandfleck nicht einheiraten möchte.«
Royston hatte Mühe, ihre Worte mit dem Mädchen in Einklang zu bringen, das er so lange kannte, das er so lange schon liebte: Cecily, die eine wagemutige Reiterin war und die so gern übermütig, geradezu wild tanzte; Cecily, die nach einem Ball, wenn die Freunde im Nebenzimmer eine ausgelassene Privatfeiersteigen ließen, seinen Flachmann nahm und sich einmal sogar seine Zigarre geschnappt und daran gepafft hatte. Es gelang ihm nicht.
»Sis.« Er streckte die geöffnete Hand nach ihr aus, mit der Handfläche nach oben. Bittend, geradezu flehend. »Wir lieben uns doch.«
Hilflos sah er zu, wie sie den Ring vom Finger zog und auf den Tisch legte. »Du warst zu lange fort, Royston. Von meinen Gefühlen für dich ist nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Betrachte unsere Verlobung als gelöst.«
Cecily stand auf und trat vor ihn, legte ihm die Hände auf die Schultern und beugte sich vor, um ihn auf die Stirn zu küssen. Ein Judaskuss, wie es Royston vorkam, der seine Haut verätzte.
»Mach’s gut, Royston. Du findest bestimmt eine Frau, die besser zu dir passt.« Sie tätschelte ihm die Wange, wie man es bei Kindern tat, die einen Kummer hatten, der Erwachsenen nebensächlich und unbedeutend erschien.
Im Weggehen drehte sie sich noch einmal um. »Ach, und Royston ... Versuch nicht, mich zurückgewinnen zu wollen, das ist aussichtslos. Mein Entschluss steht unverrückbar fest.«
Er atmete stoßweise, und er keuchte auf, als ein stechender Schmerz durch seine Brust hindurchjagte. Royston legte die Hand auf die Stelle, an der man das Herz fühlen konnte. Sein Herz pumpte kräftig und gleichmäßig wie eh und je; er war sich sicher, dass es gesund war. Und doch war es nicht mehr so stark wie früher. Abgenutzt und wund gescheuert war es, von all dem Töten, von der Grausamkeit, die er miterlebt hatte; von den Anstrengungen und von der Vergeblichkeit. Abgewetzt von Leid. Da waren diese Augenblicke der Verzweiflung gewesen, in denen er mit aller Kraft versucht hatte, Stephen, der verwundet am Boden lag, vor den rasenden Derwischen zu schützen, in denen er Angst hatte, solche Angst, dass er nicht stark genug war, nicht schnell genug. Die Erleichterung, als der Kampf vorüber war. EineErleichterung, die im nächsten Augenblick zerstob, als Stephen nicht mehr aufstehen konnte und Royston ihn den Sanitätern mit ihrer Trage überlassen musste. Und später, viel später, zurück in Korti, dann im Lazarett von Qasr el-Nil in Cairo, als sich das ganze Ausmaß von Stephens Verletzungen offenbarte und jede Hoffnung auf Besserung schließlich von den Ärzten in London zunichte gemacht worden war. Nichts jedoch kam dem Schmerz gleich, als er Leonard gefunden hatte, am Rande des Leichenackers von Abu Klea. Len, der am Boden kniete und weinte und den leblosen, blutüberströmten Simon an sich drückte. Royston hatte Simons Leichnam aufgehoben, auf seinen Armen dorthin getragen, wo sie die Toten begruben; Simon, der schwer war, so erschütternd schwer für solch einen kleinen Kerl. Sorgsam hatte er ihn auf die Erde niedergelegt, ihm die Augen geschlossen und ihm die Arme über der Brust gekreuzt, und gemeinsam mit Leonard hatte er Steine gesammelt und über Simon aufgeschichtet, und er hatte sich seiner Tränen nicht geschämt. Stundenlang war Royston danach über das Schlachtfeld geirrt auf der Suche nach Jeremy, den Leonard nur einen Wimpernschlag lang aus den Augen verloren hatte, während sie vorwärtsgestürmt waren, um Simon zu retten; nur einen Wimpernschlag lang, und seither hatte niemand Jeremy mehr gesehen. Royston, der
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