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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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dünnen Haut hervorstachen. Ada schlüpfte unter die Decke und schloss die Lider, Sal als flauschigen Ball in ihrer Armbeuge, und Grace blieb auf der Bettkante sitzen, Adas Finger in ihren, bis deren gleichmäßige, tiefe Atemzüge verrieten, dass sie eingeschlafen war.
    Auf Zehenspitzen schlich Grace hinaus und zog die Tür geräuschlos hinter sich zu. Mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, atmete Grace tief durch. Sie blickte auf, als schnelle Schritte die Treppe heraufkamen: Lizzie, ein glückliches Lächeln auf dem rotwangigen Gesicht. »Miss Grace! Miss Grace!«
    »Shhhtt«, machte Grace, den Finger auf die Lippen gelegt und die Brauen zusammengezogen. Sie horchte hinter sich, doch in Adas Zimmer blieb alles still, und sie huschte Lizzie entgegen.
    »Sie haben Besuch, Miss Grace«, berichtete Lizzie in aufgeregtem Tuschelton, während sie nebeneinander die Treppe hinabgingen. »Unten in der Halle!«
    »Wer ist es denn?«
    »Darf ich Ihnen nicht verraten, Miss Grace – soll eine Überraschung sein! Aber Sie werden Augen machen!« Lizzies eigene Augen waren riesengroß und glänzten vor Freude.
    Jeremy! , schoss es Grace sogleich durch den Kopf, und im nächsten Moment schalt sie sich eine Närrin, und in ihr krampfte sich alles zusammen.
    Ihr Besucher drehte sich um, als er ihre Schritte die Treppe herabkommen hörte. Das Haar trug er länger, und von der Sonne mit hellgoldenen Lichtern durchkämmt, kringelte es sich in denKragen des Hemdes unter der grauen Weste und der grauen Anzugjacke. Seine Augen wirkten dunkelblau im gebräunten, schmaler und kantiger gewordenen Gesicht, auf dem nun ein Lächeln aufschien, das in ein breites Grinsen überging, die Grübchen und jungenhaften Kerben in den Wangen tiefer eingraviert als früher.
    »Len!« Grace schluchzte auf, raffte ihre Röcke und flog die Treppe hinab, strauchelte und wäre beinahe gestürzt, hüpfte schließlich die letzten Stufen hinab und landete in Leonards Armen. »Len! Oh Len! Warum hast du denn nicht geschrieben, dass du kommst?«
    »Ich wollte keine Zeit verschwenden, ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden wieder in England. Vorhin habe ich nur kurz zu Hause Guten Tag gesagt, meine Sachen abgestellt und mich gleich aufs Pferd geschwungen.« Er erdrückte sie beinahe, so fest hielt er sie. Aber es tat wohl, so wohl, und sie befreite sich nur so weit, dass sie seine Schultern, seine Arme, sein Gesicht betasten konnte. »Geht es dir auch gut?« Ihre Stirn legte sich in besorgte Falten, als sie eine Narbe zwischen Wange und Schläfe entdeckte, weiß leuchtend in seiner gebräunten Haut, und sie strich mit den Fingerspitzen darüber.
    »Halb so schlimm«, erklärte er belustigt. »War nur eine tiefe Schramme.« Das Lächeln auf seinem Gesicht zog sich zusammen; ernst blickte er drein und sichtlich bewegt, während er sie betrachtete, dann schloss er sie erneut fest in die Arme, streichelte ihr über den Rücken. »Jetzt geht es mir gut. Endlich richtig gut.« Er löste sich von ihr und sah sie prüfend an. »Wie geht es dir?« Grace schwieg, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und hob kurz die Schultern. »Und Ads?« Grace’ Augen füllten sich mit Tränen. »Und Stevie?« Grace ließ mutlos den Kopf hängen. »Kann ich ihn sehen?«
    Sie nickte. »Er ist in der Bibliothek.«
    Arm in Arm gingen sie durch die Halle, bogen in den Korridor ab, vorbei am Salon, in dem Grace zuvor Ada zu überredenversucht hatte, ein bisschen mehr zu essen, und vorbei am Musikzimmer, dessen Piano schon lange verstummt war.
    Behutsam öffnete Grace die Tür einen Spalt und steckte den Kopf ins Zimmer. »Hallo, Stevie. Schau mal, wer da ist.« Sie öffnete die Tür weiter, und zusammen mit Leonard trat sie ein.
    In den Wandschränken, die bis zur weißen Stuckdecke hinaufreichten, drängte sich Buchrücken an Buchrücken, senfgelb, russischgrün, kapuzinerbraun und indigoblau, schwarz und saffianrot. Der süß-staubige, leicht metallische Geruch der Bücher wurde fast völlig von dem herben Duft eines Rasierwassers überdeckt, der dick im Raum stand. Den Rücken dem Fenster zugekehrt, an dem der ums Haus fauchende Wind rüttelte, saß Stephen am Tisch, einen Stapel Bücher neben sich, ein Buch aufgeschlagen vor sich. Er sah auf. Von jeher überschlank, wirkte er jetzt geradezu hager, die Wangen eingefallen und kreidig unterlegt, die Jochbeine scharf herausgemeißelt und ein ungesundes Brennen in den dunklen Augen.
    »Hallo, Len. Du bist also wieder zurück?« Auch seine

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