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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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über das Gesicht. Das war nicht mehr die Grace, die sie kannte. Diese Grace verletzte Menschen, die ihr nahestanden und die es gut mit ihr meinten, einfach nur, weil sie ihren Willen durchsetzen wollte. Diese Grace stürzte sich blindlings in ein vollkommen irrsinniges, lebensgefährliches Abenteuer. Ich muss wahnsinnig sein , schoss es ihr durch den Kopf. Ich habe den Verstand verloren. Sarah Danvers’ Worte fielen ihr ein. Menschen können den Verstand verlieren vor Schmerz . Vielleicht nicht nur vor körperlichem Schmerz, sondern auch vor seelischem Schmerz.
    Grace lauschte den Geräuschen der Stadt, die beinahe untergingen in dem angstvollen Schlagen ihres Herzens, dem Dröhnen in ihren Ohren. Hier in Cairo zu sein, diesen Weg weiterzugehen, allein, hatte etwas Unwirkliches. Ich muss wahnsinnig sein , dachte sie noch, während sie bereits den Ring vom Finger zog und auf den Brief legte.
    Sie stand auf, zog das Gewand über, warf den Schal über ihr Haar und schlang die Enden um den Hals, hängte sich Tasche und Wasserflasche um und packte ihre Stiefel. Auf Zehenspitzen schlich sie hinaus, den Gang entlang und die Treppe hinunter, an der behelfsmäßigen Rezeption vorbei, wo der Nachtwächter, den Kopf neben der brennenden Laterne auf die Tischplatte gelegt, schlief, und schlüpfte zur Tür hinaus.
    Das Kaffeehaus hatte noch geöffnet, doch es waren nur noch wenige Gäste im Raum. Grace trat näher und holte tief Atem.
    »As-salamu alaikum« , wiederholte sie die Worte, die Leonard zu Abbas gesagt hatte, und wechselte dann wie er ins Englische. »Entschuldigen Sie bitte, wo finde ich dragoman Abbas?«
    Die Männer blickten sie ausdruckslos an.
    » Dragoman Abbas?«, versuchte sie es noch einmal. Vergeblich.
    Ein Bursche von vielleicht fünfzehn, sechzehn, die schlaksige Gestalt in ein bläuliches Gewand gehüllt, ein weißes Käppchenauf dem Kopf und einen Hauch von Bartflaum in dem schmalen, noch weichen Gesicht, löste sich schließlich aus dem Hintergrund des Raumes und kam unter dem Klitsch-klatsch von Ledersandalen auf sie zu. Er sagte etwas auf Arabisch zu ihr und zeigte die Gasse hinauf. Grace machte ein fragendes Gesicht und hob die Schultern, und er bedeutete ihr mit einer winkenden Geste, ihm zu folgen. Mit wiegenden Schritten, wie ein Seemann auf Landgang, schlenderte er voraus, klitsch-klatsch , und Grace ging mit etwas Abstand hinterher, ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Unwillkürlich drückte sie die Tasche fester an ihren Körper, spürte erleichtert die Ausbuchtung, die der geladene Revolver in den Stoff drückte.
    Der Junge führte sie die Gasse hinauf und bog danach in einen dunklen Durchgang ein. Grace zögerte kurz, ging ihm dann aber nach, bis zu einer Stelle, an der die Hauswand von der anderen Seite her wieder schwach beleuchtet war. Vor einer Tür blieb er schließlich stehen. » Dragoman Abbas«, erklärte er.
    Als Grace auf die Tür wies, nickte er und trat zur Seite, blieb aber dort stehen, die schlanken Hände gefaltet. Grace begriff und holte aus dem Geldbeutel in ihrer Tasche einen Schein hervor, von dem sie hoffte, dass er genügte, und gab ihn dem Jungen.
    Mit einer leichten Verbeugung nahm er ihn entgegen, legte ihn zwischen seine Handflächen und hob die Hände an die Stirn. »Shukran« , murmelte er. »Shukran.« Er verbeugte sich noch einmal und verschwand dann mit federndem Schritt um die Ecke. Klitsch-klatsch. Klitsch-klatsch.
    Grace atmete tief durch und klopfte an die Tür. Dahinter rührte sich nichts. Sie klopfte noch einmal, und als es weiterhin still blieb, trommelte sie mit der Faust dagegen. Eine tiefe Stimme bellte jenseits der Tür äußerst ungehalten etwas auf Arabisch, und Grace’ Faust donnerte erneut mehrmals gegen das Holz.
    Eine unverständliche Schimpftirade näherte sich und ergoss sich über Grace, als die Tür aufging und einen Keil sanften Lichtscheins ausspie, brach aber sofort ab, als Abbas, barhäuptig, barfuß und in einem dünnen Gewand, sie erkannte und mit finster zusammengezogenen Brauen anstarrte.
    »Nicht heute. Morgen«, knurrte er und wollte ihr die Tür vor der Nase zuschlagen.
    Hastig stellte Grace ihren Fuß in den Spalt und zuckte kurz zusammen, als die Türkante mit voller Wucht gegen den Stiefel krachte. »Heute.«
    »Morgen!«
    »Heute!« Sie versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, doch es geriet zittrig. »Bitte.«
    Abbas’ Augen wanderten von Grace in den Durchgang hinter ihr und wieder zurück. »Wo ist dein Mann?«
    »Er

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