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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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... er ist nicht mein Mann.« Grace sah Abbas unverwandt an. »Er wird nicht mitkommen.«
    Abbas’ Miene wurde noch düsterer. Grace verlor den Mut, und ihr Kinn senkte sich auf die Brust.
    »Warte hier.« Grace zog ihren Fuß zurück, die Tür fiel zu, und dahinter konnte sie ein Rumoren hören, Abbas’ tiefe Stimme und eine Frauenstimme, die erst unwillig klang, dann in schrilles Keifen ausbrach, während Abbas’ Stimme ebenfalls lauter wurde, beinahe brutal drohend. Grace sprang zur Seite, als die Tür aufflog und eine Frau herauslief. Auf dralle Art war sie hübsch, wenn sie auch ein verbissenes Gesicht zog, während sie sich hastig den Schal über dem Haar zurechtzerrte. Unvermittelt blieb sie vor Grace stehen, funkelte sie zornig an und spie vor ihr auf den Boden, ehe sie sich ein paar Geldscheine in den Ausschnitt stopfte und davonmarschierte.
    In Grace mischte sich Schuldbewusstsein mit Belustigung, und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszulachen, als Abbas gleich darauf ebenfalls durch die Tür kam, eine lange Jacke über einem weniger dünnen Gewand, das Haupt von einem Tuch verhüllt und Pantoffeln an den Füßen. Über der Schulter trug er einen Sack und ein Gewehr am Gurt umgehängt und an einem Gürtel um den Bauch eine Art Schwert.
    »Entschuldigung«, murmelte sie höflichkeitshalber unter einem unterdrückten Glucksen.
    Abbas’ Stirn umwölkte sich, und er zog die Mundwinkel nach unten. »Ah«, knurrte er abfällig. »Gibt auf der Welt genug von ihrer Sorte.«
    Er ruckte mit dem Kopf zu der Gasse hin, und Grace folgte ihm, hinein in das Gassengewirr Cairos. Lang gezogen und klagend hoben die Rufe der Muezzine an und zitterten durch die Dunkelheit, ein wehmütiger, ein lockender Klang aus vielen Stimmen, aus allen Himmelsrichtungen, der tief verborgene Saiten in Grace’ Seele anschlug. Sie sah zu Abbas hin, doch der schritt unbeirrt aus und machte keine Anstalten, sein Gebet zu verrichten.
    Bis sie am Flussufer angelangt waren, dünnte sich die Nacht bereits aus, und die ersten Sterne erloschen. Einige kleine Barken, kaum größer als Nussschalen, dümpelten vertäut im Wasser, und Grace konnte männliche Gestalten ausmachen, deren weiße Gewänder hell leuchteten im Zwielicht, so hell wie die dreieckigen Segel an den kurzen Masten und den langen Rahen. Abbas ging auf eines der Boote zu und rief etwas, und einer der Männer begrüßte ihn mit Handschlag und mit Wangenküssen. Ein schneller Wortwechsel entspann sich, der dennoch friedlich, beinahe vertraut klang, und schließlich warf Abbas seinen Sack über die Reling und kletterte in die Barke. »Vorwärts!«, blaffte er Grace über die Schulter zu, während er aus dem Gurt des Gewehres schlüpfte und seinen Schwertgürtel ablegte.
    Der Bootsführer bleckte seine schadhaften Zähne zu einem Grinsen und streckte die Hand nach Grace aus, half ihr in die schwankende Barke und deutete auf eine Stelle auf den Holzplanken, woraufhin Grace sich gehorsam niederließ. Ein zweiter Mann kam angelaufen und sprang über die Reling, landete mit einem Patschen seiner bloßen Füße auf den Planken, und mit wenigen Handgriffen lösten sie die Seile, stießen sich vom Ufer ab und schwenkten die Rahen gegen den Wind.
    Die Silhouette von Cairo schälte sich nach und nach aus der sich schnell lichtenden Dämmerung, die schachtelartigen Umrisse, die Kuppeln und Türme und Fialen. Die Knie angezogen, saß Grace aufrecht im Boot und schaute nach vorn, wo sich die Bebauung der Stadt allmählich zerstreute und die Palmen dichter standen und wo schließlich ein breites Band aus dickem, glänzendem grünen Samt den Nil zu beiden Seiten umfing und umschloss. Wie ein dicker roter Blutstropfen am weiß glühenden Himmel ging die Sonne im Osten auf, färbte sich gelb wie der Eidotter einer Henne, der man viele Maiskörnchen zum Picken gegeben hatte. Die Barke schwankte leicht auf den mattblauen und jadegrünen Fluten und trug Grace nach Süden, in ein Land jenseits der Zeit. Und das Plätschern und Rauschen des Nils an den hölzernen Rumpf des Bootes kam ihr vor wie das Geräusch der Brücken, die sie gleichsam hinter sich zusammenbrechen und einstürzen fühlte. Die Brücken zurück in ihr altes Leben.
    Sie merkte es kaum, dass ihr die Augen zufielen, die Muskeln ihres Kiefers erschlafften; sie zuckte kurz auf, als eine Hand ihre Schulter umfasste, murmelte Widerworte und wedelte in einer abwehrenden Geste mit lockerer Hand vor sich in die Luft, schlief aber

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