Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
von ihr, so weich, wie sie sich fühlte mit dem Schnaps im Leib, der ihre Wangen glühen ließ. »Ich werde keine Ruhe finden, wenn ich es nicht wenigstens versucht habe.«
Er nickte. »Ja, das versteh ich. Trotzdem«, er tippte ihr auf die Schulter, »trotzdem solltest du vielleicht noch ein Lebenszeichen nach Hause schicken. Damit sie wissen, dass es dir gut geht. Und vielleicht, wo du gerade bist.«
Um Grace’ Brust schlang sich ein Band und zog sich fest zusammen. Nur von Becky hatte sie sich wirklich verabschieden können. Pass auf dich auf, Gracie , hörte sie sie noch flüstern, die Stimme dick von mühsam zurückgehaltenen Tränen. Komm gesund wieder! Ich sorg dafür, dass Ads nicht petzt, und ich verrat auch sonst niemandem was. Auch Stevie nicht. Ein paar Zeilen auf ihrem Schreibtisch waren alles, was sie zum Abschied hinterlassen hatte.
»Nein, Len«, erwiderte sie leise. »Ich will ihnen nicht unnötigSorgen machen. Es muss reichen, dass sie wissen, du bist bei mir und gibst auf mich acht.«
»Das tu ich, Grace«, sagte er mit einer Stimme, die tief und zärtlich klang. »Dennoch ...« Seine Stirn zerfurchte sich. »Je länger ich wieder hier in Ägypten bin, desto stärker kommt die Erinnerung an den Krieg zurück. Und an Abu Klea. Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen – aber viel Hoffnung kann ich dir nicht machen, dass wir Jeremy finden werden.«
»Ich weiß«, wisperte Grace, und unter ihren schweren Lidern rannen Tränen hervor. »Aber ich kann doch nicht so einfach aufgeben!« Bittend, beinahe flehend sah sie Leonard an. »Jeder sagt mir, ich müsse endlich verstehen und einsehen, dass er nicht mehr lebt, aber ich kann es einfach nicht!«
»Komm her«, murmelte er und zog sie in die Arme, und sie hielt sich an ihm fest, während er ihr tröstend über das Haar strich und dabei mit den Fingern die letzten, locker sitzenden Nadeln herauskämmte. Er streichelte ihre Schläfen, ihre Wangen, ihren Rücken, und irgendwann spürte Grace seinen Mund auf dem ihren.
Dieser Kuss hatte nichts von den spielerischen Küssen, die sie vor vielen Jahren ausgetauscht hatten, bevor Leonard für einige Zeit ins Ausland und Grace das erste Mal ans Bedford gegangen war. Küsse hinter einer Hecke oder in einem geschützten, dunklen Winkel außerhalb des Ballsaals, die jedes Mal in schallendem Gelächter und in Albereien geendet hatten. Ernsthafter war dieser Kuss, wie Leonard dabei ihre Lippen umschmeichelte, ihre Zunge umwarb, und doch sanft, so sanft für Grace, die sich schwer und weich und warm fühlte, während ihr Kopf ganz leicht war und wie leer gefegt. Sie gab einen kehligen Laut von sich, als sein Mund an ihrem Hals hinabglitt, sich in der Mulde unter ihrer Kehle vergrub und als sein Gesicht sich gegen die Wölbungen unter dem geliehenen Hemd drückte. Sein heißer Atem drang durch den dünnen Stoff ihres Trägerhemdchens darunter, bis auf ihre Haut. Wohlige Schauer überliefen Grace, während seine Handan ihrem Rippenbogen, an ihrer Taille entlangstrich, über ihre Hüften, und sich zwischen ihre Beine schob, dort einen Hunger auslöste, der einer Gier gleichkam. Grace fühlte sich wie ein überreifer Pfirsich, bereit, gepflückt zu werden, bevor er verdarb. Sie wollte es so sehr, oh so sehr, geliebt werden, noch mehr von dieser Lust erleben, immer mehr. So schön war es, was Leonard mit seinen Händen und mit seinem Mund tat, vertraut und doch auf aufregende Weise fremd; so gut fühlte es sich an. Und so falsch.
Jeremy. Nicht, Len. Nein. Nein. Jeremy. Etwas schnappte in ihr zurück, peitschte sie hellwach, und jeder Muskel ihres Körpers spannte sich an. »Nein«, keuchte sie, »nicht! Hör auf! Hör auf!«
Sie strampelte und trat und schlug blind um sich, schrie auf, als Leonard sie bei den Handgelenken packte und festhielt. Es brauchte einige Herzschläge, bis seine Stimme zu ihr durchdrang. »Schhtt, Grace, ist doch gut! Ganz ruhig! Ist ja alles gut!« Bis sie begriff, dass er nichts erzwingen wollte und sie sich widerstandslos in seine Arme ziehen ließ.
»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, schluchzte sie. »Ich bin so durcheinander! Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glauben soll! Ich weiß nicht mehr, was richtig ist und was falsch!«
»Ist ja gut«, murmelte er und wiegte sie sanft. »Ist ja alles gut.« Behutsam schob er ihr Gesicht von seiner Brust, streichelte ihre Wange und sah sie an. »Ich wünsche mir mehr als alles auf der Welt, das eines Tages mit dir zu tun,
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