Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
und seine Augen glänzten mit einer Wärme, die Royston schon lange nicht mehr an seinem Freund gesehen hatte, und dieselbe Wärme schwang in seiner Stimme mit, als er antwortete: »Wärst du bereit, mein Trauzeuge zu sein? Becky und ich haben uns vor zwei Wochen mit dem Segen meiner Eltern verlobt. Der Reverend war nicht ganz so einfach zu überzeugen, hat aber schließlich zähneknirschend nachgegeben.«
Royston blickte ihn mit offenem Mund an. »Ihr habt ... was?! «, stieß er heiser hervor.
Stephen machte ein pfiffiges Gesicht. »Da staunst du, was?«
»Allerdings.« Es war Royston nicht entgangen, dass Stephen gelöster wirkte, weniger zynisch, wenn auch seine frühere Sanftmut, seine Empfindsamkeit nicht wieder zum Vorschein gekommen waren. Doch auch wenn er sich vorhin bei seinem Eintreffen auf Shamley Green still darüber gefreut hatte, wie harmonisch, nachgerade zärtlich Becky und Stephen inzwischen miteinander umgingen, hätte er nicht im Traum daran gedacht, dass ihr Verhältnis zueinander eine solche Entwicklung nehmen könnte. »Hör mal, Stevie«, begann er zögernd, »ich zolle Becky äußersten Respekt dafür, dass sie sich derart aufopferungsvoll um dich kümmert. Aber musst du sie deshalb gleich heiraten?«
Stephens Mundwinkel zogen sich nach unten. »Sag doch einfach ehrlich, was du denkst: dass du es für ein großes Unrecht hältst, wenn ein Krüppel wie ich eine Frau ein Leben lang an sich kettet.« Er steckte sich die fast ausgerauchte Zigarette zwischen die Lippen, löste die Bremsen des Rollstuhls und setzte ein Stück zurück. »Früher warst du nicht so ein kleinkarierter Biedermann«,knurrte er durch den Qualm hindurch und fuhr zurück in Richtung Haus.
»Warte!« Royston drückte die Zigarette aus, erhob sich von der Bank und folgte seinem Freund mit langen Schritten. »Stevie, verdammt – du kannst Becky nicht heiraten!«
Stephen riss den Rollstuhl so heftig herum, dass Royston einen Satz rückwärts machen musste, um die Ecke der Fußstütze nicht gegen das Schienbein zu bekommen, warf den Zigarettenstummel weg und reckte seinen dürren Zeigefinger zu Royston empor. »Mein Leben lang habe ich nicht gewusst, was ich wirklich will«, brüllte er ihn an. »Ich hab immer das getan, was andere von mir wollten! Immer der brave, der folgsame Stevie, der nie aufmuckt! Und wohin hat’s mich gebracht?« Voller Zorn starrte er Royston ins Gesicht und dämpfte seine Stimme zu einem Grollen. »Also sag du mir jetzt nicht, was ich tun kann und was nicht.« Er wendete den Rollstuhl wieder und warf Royston über die Schulter zu: »Ich will und ich werde Becky heiraten. Und es ist mir gleich, wie du oder sonst irgendjemand darüber denkt.«
Die Hände in den Manteltaschen vergraben, stapfte Royston in einigem Abstand hinter ihm her.
»Ihr seid ja schon wieder da«, rief Becky aus, als sie ihnen die Glastür zum Salon öffnete. Sie schloss die Tür hinter ihnen, trat zu Stephen, beugte sich nieder und küsste ihn auf die Wange. »Hast du ihn gefragt?«, wollte sie wissen, während Stephen sich den Schal vom Hals wickelte. Dann knöpfte er sein Sakko auf, und Becky schälte ihn aus der Wolldecke, faltete sie zusammen und nahm ihm Sakko und Schal ab.
»Ja, hab ich«, erwiderte Stephen, als sei Royston gar nicht da. »Und er schien nicht sonderlich erbaut über diese Neuigkeit. Wahrscheinlich«, er warf seinem Freund einen gehässigen Seitenblick zu, »ist er einfach nur neidisch, weil er selbst keine mehr abkriegt und ewig Junggeselle bleiben wird.« Er fuhr aus dem Salon hinaus.
Royston starrte betreten auf seine Schuhspitzen. Sein Freundhatte die Sache nicht ganz getroffen. Als Earl of Ashcombe, mit fast siebenundzwanzig noch unverheiratet und durchaus als gut aussehend zu bezeichnen, stellte Royston eine mehr als passable Partie dar, der weder die missglückte Verlobung mit Lady Cecily Hainsworth noch die Gerüchte um den Tod des alten Earls Abbruch taten. Tatsächlich konnte er sich vor Einladungen kaum retten und hatte nahezu freie Auswahl unter den jungen Ladys der näheren und weiteren Umgebung. Indes fehlte Royston der Mut, eine von ihnen näher kennenzulernen, geschweige denn eine erneute Verlobung in Betracht zu ziehen. Während Cecily aus seinen Gedanken und aus seinem Herzen allmählich verschwand, konnte er die Risse und Sprünge, die sie darin mit solch leichter, solch grausamer Hand hinterlassen hatte, noch immer spüren. Cecily hatte in ihm eine Angst vor der Gnadenlosigkeit
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