Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
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So viele Tage waren es gewesen, an denen die Barke durch den kornblumenblau und türkis glänzenden, den in den grünlichen Schattierungen von Chrysopras und Beryll changierenden Nil geglitten war, vorbei an zartgrünen Saatfeldern, auf denen bronzegesichtige Männer in langen Gewändern gebückt arbeiteten, ein Tuch um den Kopf geschlungen. Vorüber an Wäldern von Dattelpalmen, in denen schwere Fruchtnester hingen, und am Ufer wippten die zarten Wedel des Papyrusgrases im Wind. So viele Nächte unter einem sattschwarzen Himmel voller Silberglanz, mit Sternschnuppen, groß wie Pennys und von einer zartgrün leuchtenden Aureole umgeben. So viele goldene und flammenfarbige Sonnenuntergänge und so viele grell lodernde Wiedergeburten des Tagesgestirns. Tage, an denen Dörfer an ihnen vorüberzogen, deren Häuschen an zusammengestellte Bauklötze für Kinderhände erinnerten, zwischen denen ledergesichtige und kaffeedunkle Männer umhergingen oder herumsaßen und lärmende Kinder herumsprangen. Ruinen aus alten Zeiten, die zwischen sandigen Ebenen und nackten Berghängen ausgestreut waren, zwischen Geröll und schroffem Fels und zart gefiedertem Buschwerk. Die Überreste des alten Theben, Steinbalkentragende Säulen wie Riesen aus einem Märchen, die nach all den Jahrhunderten noch immer ihr bunt gemustertes Kleid trugen, und trutzige Mauern, durchsetzt von windschiefen, ärmlichen Hütten, und die wie angenagt aussehenden Säulen von Kom Ombo ragten aus einem Sandhügel heraus. Schwarz glänzender, zerklüfteter Stein hatte sich im Nil zum ersten Katarakt zusammengeschoben und aufgetürmt, und umso lieblicher wirkte die Insel von Elephantine dahinter, wie ein verwunschener Garten, bevor hinter Palmenhainen Assuan sichtbar wurde. Die letzte Stadt Ägyptens und das Ende ihrer Fahrt über Wasser.
Nur einmal noch betraten sie den schwankenden, schwimmenden Boden eines Schiffs, eines Lastkahns, der Grace und Abbas ans andere Ufer übersetzte, zusammen mit den vier Kamelen, die Abbas auf dem lauten, umtriebigen Markt in Assuan nebst allerlei Ausrüstung, Wasser und Proviant erworben hatte. Ein grün beflocktes Ufer säumte ihren Weg, während sie zwischen messinggelbem Sand und trockenen Bergflanken und hinter dem im Sand versunkenen gewaltigen Tempel hindurchritten, bis die Wüste von Bayuda sie aufnahm, zwischen deren Staub und Geröll sie die unsichtbare, unmarkierte und unbewachte Grenze zum Sudan überquerten.
Ein Tag hier war wie der andere, von den ersten blassen Sonnenstrahlen, die so schnell in brennende Glut umschlugen, bis zum schweren Lichtschein des Abends, den die Dunkelheit schließlich niederwalzte. Und mit der tintenschwarzen Nacht kam die Kälte, eine Kälte, die Grace in den viel zu kurzen, nie erholsamen Stunden bleischweren Schlafs auf hartem Boden zittern und die sie am Morgen mit verkrampften, steifen Gliedern und wattigem Kopf sich von ihrem Lager erheben ließ.
Wirklich wach hatte Grace sich schon lange nicht mehr gefühlt, aber vielleicht war das ja auch ein Segen. Ihr umnebeltes Bewusstsein dämpfte jegliche Empfindung für ihren Körper, der ihr vorkam wie eine offene Wunde. Ihre Knochen brannten; in Sehnen und Muskeln, die vor Anstrengung und vor Müdigkeitschlackerten, stach es. Hinter ihren Augäpfeln herrschte ein quälender Druck, ihre Haut spannte, war voller Blasen, wund und aufgeschürft, die Lippen aufgesprungen. Ständig hatte sie einen schlechten, klebrig fauligen Geschmack im Mund, der ebenso trocken war wie die Kehle rau. Ihr Haar war strähnig und ihre Kleidung starr und speckig vor Schweiß und Staub.
Ich. Kann. Nicht. Mehr. So oft dachte Grace das, ein zerhackter Gedanke, der um und um ging in ihrem pochenden, ausgedörrten Schädel. Ich. Kann. Einfach. Nicht. Mehr. Ein nutzloser Gedanke, denn der Weg zurück bot nichts anderes als das, was noch vor ihr lag: Sand und noch mehr Sand, pulvrig wie Maismehl, schlackedunkles Geröll und schwarzen, zersplitterten Fels; nur selten bot ein mimosenähnliches Gesträuch oder eine verhornte Akazie ihrem Auge Abwechslung, eine Ahnung von Leben.
Und still war es hier, so still. Eine Stille, die auf Stirn und Schläfen drückte, die sich in das Trommelfell bohrte. Selbst das Flüstern des Windes war von eigentümlicher Tonlosigkeit. Wie die Stimmen eines Geisterchores. Und Abbas’ Sprache war das Schweigen; Grace konnte die Sätze, die sie seit ihrem Aufbruch in Cairo in jener Nacht gewechselt hatten, beinahe an beiden Händen
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