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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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du.«
    Jeremy schwieg einige Herzschläge lang. »Len?«, riet er dann.
    Grace nickte, und eine Träne rann ihr über die Wange. »Es tut mir leid«, wisperte sie.
    Er streckte die Hand aus, umfasste ihr Kinn, streichelte mit dem Daumen über ihre Wange, während weitere Tränen über seine Finger liefen. Vorsichtig zog er Grace an sich und nahm siein die Arme, presste seine Lippen auf ihre Stirn, auf ihre Schläfe, während er ihr durch das Haar strich. Grace schloss die Augen und legte das Gesicht an seine Brust, lauschte seinem pochenden Herzen und ließ dann sachte ihre Finger auf seinem Rücken ruhen. Sie wünschte sich so sehr, all diese Narben wegstreicheln zu können und noch mehr die Erinnerung daran, wie diese Narben zustande gekommen waren. Doch nichts, nichts in diesem Leben würde ungeschehen machen, was Jeremy widerfahren war, das wusste Grace. Auch nicht all die Liebe, die sie ihm zu geben hatte.

49
    In der Mittagssonne leuchteten die steilen Sanddünen zu ihrer Rechten golden und orangerot und sattgelb wie Safranpulver, wie die abgeriebenen Schalen von Pomeranzen und Quitten, und der Gluthauch, den ihre gewellte Oberfläche abstrahlte, wurde von der Brise gelöscht, die vom Nil zu ihrer Linken herüberflatterte. Die fedrigen Kronen der Bäume zitterten im Wind, und immer wenn das sattgrüne Gesträuch zwischen den Stämmen niedriger wurde, konnten sie den Fluss sehen, ein von munteren Wellen bewegtes breites Band von bestechend schönem Azurblau, auf dem die Boote mit ihren hellen Segeln dahinzogen und wo immer wieder weiße Vögel landeten und aufstiegen. Es war ein einsamer Pfad, über den sie auf ihren Kamelen trotteten, denn wer hier entlang wollte, nahm fast immer den Weg über den Fluss.
    In der Ferne, jenseits des hitzeflirrenden Bodens vor ihnen, konnten sie bereits die dichten Palmwälder und die ersten Häuser von Assuan ausmachen. Sie waren wieder in Ägypten. Sie waren wieder in Sicherheit.
    Abbas zügelte sein Kamel, ließ auch das Lastkamel dahinter anhalten und drehte sich zu Grace und Jeremy um. »Hier verlasse ich euch.«
    Die beiden tauschten einen erstaunten Blick. »Du bringst uns nicht nach Cairo?«
    »Ah«, machte Abbas und ließ seine beiden Kamele in die Knie gehen. »In Assuan spricht jeder eure Sprache. Zumindestjeder, der über den Fluss nach Norden fährt.« Er stieg ab, und auch das Kamel von Jeremy und Grace senkte sich schwankend, und sie konnten aus dem Sattel klettern. »Ab hier«, verkündete Abbas mit einem beinahe feierlichen Dröhnen in seinem Bass, »ist das allein euer Weg.«
    Grace griff nach ihrer Tasche und holte unter dem Revolver, den sie heute Morgen wieder darin verstaut hatte, den Beutel mit dem Geld hervor. »Was bekommst du noch von mir?«
    Abbas schüttelte den Kopf. »Kein Geld.« Er deutete auf die beiden Kamele vor sich. »Nur die hier.« Prüfend musterte er das dritte Kamel und streichelte ihm zärtlich über den Hals. »Für das hier bekommt ihr aber in Assuan wohl nicht mehr viel.«
    Grace war plötzlich weh zumute; nach all den Wochen, die sie zusammen verbracht, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, wusste sie noch kaum etwas über Abbas, noch nicht einmal, wie alt er war und ob er Frau und Kinder hatte, und dennoch fiel ihr der Abschied ungeheuer schwer. Sie hängte die Tasche wieder über den Knauf des Sattels und sah Abbas unsicher an, doch der schob sein Gewehr am Gurt auf den Rücken und breitete die Arme aus.
    »Danke, Abbas«, flüsterte sie, als sie seine massige Gestalt umarmte und ihn auf die Wange küsste. »Tausend Dank für alles! Das werde ich dir nie vergessen, und ich werde dich immer in meinem Herzen bewahren.«
    Etwas verlegen klopfte er ihr auf den Rücken, so, als wollte er einen alten Teppich entstauben. »Kommt gut nach Cairo«, brummte er, und so leise, dass nur Grace es hören konnte, raunte er ihr ins Ohr: »Kriegerherz.« Er nahm sie bei den Armen und schob sie weg, gab Jeremy die Pranke und schlug ihm nicht minder kräftig auf die Schulter. »Pass gut auf Miss Grace auf!«
    Jeremy sah erst Grace an, dann Abbas und nickte. »Das werde ich.«
    Abbas schwang sich auf das Reitkamel und ließ die beiden Tiere langsam aufstehen. »Allah sei mit euch. Auf diesem Wegund auf dem, der dahinter kommt.« Mit der Rechten berührte er nacheinander seine Brust, seine Lippen und seine Stirn, und die Kamele trotteten los, bogen auf einen Pfad ab, der durch zwei Dünen hindurchführte und der auf den ersten Blick kaum

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