Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
im Leben lieben kann. Anders vielleicht, aber deshalb nicht weniger stark. Ich stelle es mir schönvor, in deinem Arm einzuschlafen und morgens neben dir aufzuwachen, Royston. Mit dir zusammen durchs Leben zu gehen. Und ich möchte unsere Kinder aufwachsen sehen und dafür sorgen, dass sie zu glücklichen Menschen werden.« Sie nickte. »Ja, das wünsche ich mir sehr.«
Royston spürte, wie ihm schwindelig wurde vor Glück. »Heißt das ... war das ein Ja?«
Adas Lächeln wurde zu einem Strahlen, jenem Strahlen, das schon verloren geglaubt schien. »Ja, Royston. Oh ja.«
Ich werde auf sie achtgeben, Simon, das schwöre ich dir bei meinem Leben. Sie wird’s immer gut bei mir haben, deine Ada. Meine Ada.
»Wir sollten es deinen Eltern sagen«, raunte er zwischen zwei Küssen. »Und Stevie und Becky.«
Ada nickte. »Ja, das sollten wir.«
Sie standen auf und gingen Hand in Hand über den Rasen zum Haus hinauf.
Ada stellte sich auf die Zehenspitzen, als sie hinter den Eichen eine Kutsche heranrattern hörte, die zum Haus hin abbog und vor dem Hauptportal hielt. »Ich wusste gar nicht, dass wir für heute Besuch erwarten«, murmelte sie, und von Neugierde getrieben, schritt sie mit Royston strammer aus.
Aus der Ferne sah sie einen Gentleman aussteigen, der einer jungen Lady heraushalf, und als diese den Kopf hob, blitzte unter ihrem Hut blondes Haar hervor, hellgolden wie ein Kornfeld. Adas Herz machte einen Satz. »Gracie!«, schrie sie aus Leibeskräften, riss sich von Royston los und rannte mit gerafften Röcken auf den Wagen zu. »Gracie!« Sie fiel ihrer Schwester um den Hals. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist!
»Ads!« Grace hielt ihre Schwester so fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. »Oh, Ads!«
Royston, der Ada zögernd gefolgt war, beschleunigte seine Schritte. »Jeremy!« Er presste den verloren geglaubten Freund an seine breite Brust und klopfte ihm mit den geballten Fäusten fest auf den Rücken, ließ schließlich seinen Tränen freien Lauf.»Verdammt, dass ich das noch erleben darf! Es tut so gut, dich zu sehen!«
»Grace!« – »Gracie!« Lady Norbury und Becky rannten die Stufen hinunter, auf Grace zu.
»Mama! Becky!« Grace lachte und weinte zugleich, als ihre Mutter und ihre beste Freundin sie gleichzeitig in die Arme schlossen.
»Zu mir musst du dich leider heraufbemühen«, rief Stephen mit breitem Grinsen von der Tür her und deutete auf den Rollstuhl und auf die Stufen, die Henry gerade hinunterfegte. Unter der Aufregung, die die Luft vor dem Haus vibrieren ließ, zitterte der Hund, und sein Bellen überschlug sich vor Freude.
Grace’ Lachen verlosch, als sich ihr Blick mit dem ihres Vaters traf, der auf seinen Stock gestützt neben seinem Sohn stand, die eisgrauen Brauen zusammengezogen und ein Glitzern in den blauen Augen.
Ada ging voraus, und als sie bemerkte, dass Grace ihr nicht folgte, drehte sie sich zu ihrer Schwester um und streckte die Hand nach ihr aus. »Komm mit, Gracie! Du brauchst keine Angst zu haben!«
Sommer 1894
Eines Tages werd ich mich erheben und verlassen meine
Freunde und Dich suchen an den fernen Enden der Welt.
Dich – Dich fand ich so schön
(die Berührung Deiner Hand, der Geruch Deines Haares!),
mein einzig Gott in den Tagen, die vorüber sind.
Meine wandernd’ Füße sollen Dich finden,
obgleich die schleppend vergangenen Jahre,
die Zeichen des Schmerzes
Dich gänzlich verändert; denn ich werd erkennen
(wie könnt meine Liebe zu Dir ich je vergessen?)
im traurigen Halblicht des Abends das Gesicht, das war all
mein Sonnenaufgang. Dann werd ich steh’n am Ende der Welt
und halten Dich grimmig an jeder Hand und sehen
Dein Alter und Dein aschenes Haar. Was Du einst warst,
werd ich verfluchen, weil Du so verändert und blass und alt
(Lippen, die einst Scharlach, Haar, das war Gold!),
und ich liebt’ Dich, bevor Du warst weise und alt,
als in Deinen Augen die Flamme der Jugend noch stark
– und mein Herz, es krankt an der Erinnerung.
RUPERT BROOKE
Grace sah von den Papieren auf, als es an die Tür des Arbeitszimmers klopfte. »Ja bitte?«
Lizzie steckte den inzwischen fast vollständig ergrauten Kopf unter der weißen Haube durch die Tür und deutete einen Knicks an. »Bitte entschuldigen Sie, Miss Grace! Ich weiß, Sie wollten eigentlich nicht gestört werden heute Vormittag, aber Sie haben Besuch.«
Über Grace’ Züge huschte ein kleines Lächeln, dass sie doch für Lizzie immer noch Miss Grace war, obwohl sie inzwischen
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