Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
gereift war, ihre schmale Gestalt in dem hellen Sommerkleid, unter dem sich kaum weibliche Rundungen abzeichneten. Royston begriff, dass ihm um ein Haar ein Fehler unterlaufen wäre: Ada wegen ihres süßen, zerbrechlichen Äußeren zu unterschätzen. Ada war längst kein verschüchtertes Mädchen mehr. Ada war eine erwachsene Frau, mit dem Körper einer Frau, mit einer leidenschaftlichen Seele und mit einem eisernen Willen, sinnlich vielleicht, ganz bestimmt stark. Und sanft, doch so sanft.
In Royston stieg ein solch heißes, kaum zu bezähmendes Verlangen auf, dass er seine Hand in den Oberschenkel krallte, um sein Zittern zu unterdrücken. Er wollte Ada so sehr, hier und jetzt, dass er es kaum aushielt, und vielleicht begriff er erst in diesem Moment, wie sehr er sie tatsächlich liebte. Wie sehr er sie um sich haben wollte, jeden Tag, jede Nacht, für den Rest seines Lebens.
»Haben wir seit jenem Sommer nicht alle unsere Unschuld verloren«, erwiderte er schließlich rau, »auf die eine oder andere Weise?«
Ada schwieg einige Herzschläge lang. »Denkst ... denkst du noch viel an Sis?«, fragte sie dann mit hörbarer Befangenheit.
Cecily, die vor drei Wochen im Süden Frankreichs den Bund der Ehe geschlossen hatte, im Rahmen mehrtägiger Feierlichkeiten auf dem Schloss ihres Bräutigams. Für den Colonel und Stephen wäre die Anreise zu beschwerlich, gar unmöglich gewesen, und so waren die Norburys alle zu Hause geblieben, hatten es bei Glückwünschen und einem übersandten Hochzeitsgeschenk belassen. Royston selbst hatte seine Einladung sogleich an ein brennendes Streichholz gehalten und in den Kamin geworfen, kaum dass er sie auf seinem Poststapel gefunden hatte.
Seine Mundwinkel unter dem Bart zogen sich nach unten. »Spricht wahrscheinlich nicht unbedingt für mich, aber ich denke kaum noch an sie.« Erst jetzt, nachdem Ada sie erwähnt hatte, tauchte wieder Cecilys Bild vor seinem inneren Auge auf und eine schattenhafte Erinnerung an ihre Stimme, an ihr Lachen und an ihre Küsse und wie es sich angefühlt hatte, sie in den Armen zu halten; eine Erinnerung, die gleich darauf zu Staub zerfiel. Während er Ada all die Zeit unterschätzt hatte, war es bei Cecily genau umgekehrt gewesen: Er hatte sie in schmeichelhafterem Licht gesehen, als es ihr tatsächlich entsprach. Dass Liebe manchmal buchstäblich blind machte, daran hatte er hin und wieder gedacht – zumindest machte sie zuweilen kurzsichtig.
»An Len denke ich wesentlich öfter«, flüsterte er heiser.
»Ja, an Len denke ich auch oft«, wisperte Ada beklommen.
»Das ist alles schon so lange her«, meinte Royston nach einer Weile. »Irgendwann habe ich begriffen, dass ich mit Cecily nicht glücklich geworden wäre. Nein, an Cecily habe ich schon eine ganze Zeit nicht mehr gedacht.« Er sah Ada an, die noch immer regungslos und verkrampft neben ihm saß. »Ich denke die ganze Zeit nur noch an dich, Ada.«
Als sie nichts erwiderte, streckte er die Hand aus, legte sie über eine ihrer kleinen Fäuste, und das Herz war ihm schwer. »Es macht mir nichts, wenn du mich nicht wiederliebst, Ada. Mir genügt es, wenn du mich nur ein bisschen gern hast und es mit mir aushältst.«
Aus großen Augen sah sie ihn an. »Nein, Royston. So ist das nicht. Ganz und gar nicht.« Ihre Finger öffneten sich, und sie nahm Roystons Pranke und strich mit den Händen zärtlich darüber, sodass es heiß wie zähe Lava durch Roystons Arm strömte. »Ein großer Teil meines Herzens wird immer Simon gehören und wird immer um ihn trauern. Darüber musst du dir im Klaren sein. Weißt du«, hauchte sie, »ich hab in letzter Zeit oft daran gedacht, wie du mir erzählt hast, Simon habe dich gebeten, sein Trauzeuge zu sein. Damals – bevor ...« Ihr Gesicht verzog sich, als litte sie heftige Schmerzen, und Royston schwieg. »Vielleicht ...«, fuhr sie schließlich fort, »vielleicht hat er es gespürt, dass er nicht wieder zu mir zurückkommt. Vielleicht hat er es gespürt, und er wollte dich damit bitten, auf mich aufzupassen, dich um mich zu kümmern.« Fragend sah sie ihn an.
»Ich weiß es nicht, Ada«, erwiderte er ehrlich.
Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und sie richtete den Blick wieder auf Roystons Hand in ihrem Schoß. »Ich auch nicht. Aber ich finde es eine tröstliche Vorstellung.« Das Lächeln auf ihren Zügen vertiefte sich. »Wenn Simon auch immer ein Teil meines Herzens gehören wird – so lerne ich doch gerade, dass man nicht nur einmal
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