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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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drückte ihren Mund auf seine Brust, atmete seinen Geruch ein, der sich gleichfalls verändert hatte, schwerer geworden war, würziger. »Lass uns nach England zurückfahren. Nicht morgen oder übermorgen, aber bald. Zurück in unser altes Leben.«
    Jeremy starrte schweigend an die Decke und rauchte seine Zigarette zu Ende. Er setzte sich halb auf, um sie auf der Untertasse auszudrücken, die er auf den Nachttisch geholt hatte, und streckte sich dann wieder neben Grace aus, den Ellenbogen aufgestützt und die Schläfe auf die Faust gelehnt. Mit der anderen Hand strich er ihr über die Wange, spielte mit einer Strähne ihres Haares. »Ich bin zwar lebend aus Omdurman herausgekommen, Grace, aber ich habe kein Leben mehr. Zumindest nicht in England.«
    »Dann baust du dir eben ein neues auf«, erwiderte sie und fuhr ihm mit der Fingerkuppe über die Stirn, die sich leicht gefurcht hatte.
    »Wie denn, Grace?« Er klang bedrückt, fast schon ungehalten. »In ein Regiment gehe ich nicht zurück, und etwas anderes habe ich nicht gelernt.«
    Vater wüsste bestimmt Rat , ging es Grace durch den Kopf. Ja, gewiss wüsste er das.
    »Wir finden einen Weg«, wisperte sie. »Lass es uns wenigstens versuchen. Andernfalls können wir immer noch hierher zurückkehren oder woanders hingehen.« Als er schwieg, fügte sie hinzu: »Wir können uns nicht einfach so aus der Verantwortung stehlen. Ich nicht meiner Familie gegenüber und du nicht deiner Mutter.«
    Grace hatte Heimweh, Heimweh nach Shamley Green, nach Ada und Stephen und Becky und nach ihren Eltern, und obwohl sie gleich nach ihrer Ankunft in Cairo nach Shamley Green geschrieben hatte, spürte sie Gewissensbisse, dass sie nicht wussten, wie es ihr ging, und sich nicht mit eigenen Augen davon überzeugen konnten, dass sie wohlauf war. Vor allem bedrückte sie der Gedanke an Sarah Danvers, die ebenso wie Jeremys Freunde zu Hause noch immer ahnungslos war, was das Schicksal ihres Sohnes betraf. Jeremy hatte es so gewollt; ein Wunsch, auf dem er so hartnäckig bestanden hatte, dass er und Grace zum ersten Mal in Streit geraten waren und sie schließlich nachgegeben hatte. Fürs Erste , hatte sie sich selbst geschworen. Nicht auf Dauer.
    »Du fehlst ihr sehr, das weiß ich«, setzte sie deshalb hinzu.
    Über Jeremys Gesicht legte sich ein Schatten, und sein Mund spannte sich an. »Der Sohn, den sie einmal hatte – der fehlt ihr. Aber den gibt es nicht mehr.«
    Grace’ Finger glitten an seiner Schläfe hinunter, in sein Haar und vergruben sich tief darin. »Tu das nicht, Jeremy. Nimm ihr nicht die Entscheidung ab, was sie ertragen kann und was nicht. Das hat sie nicht verdient. Sie wird dich auch so lieben, wie du heute bist. Ich tue das ja auch.«
    Lange sah er sie einfach nur an, während sich sein Mund verkniff, dann zuckte und sich schließlich löste. Er schob sich näher, bis sein Gesicht über dem ihren war.
    »Grace, ich empfinde nicht mehr dasselbe für dich wie damals.« Sie fuhr zusammen, aber mit einem halben Lächeln legte er ihr rasch die Hand auf den Mund. »Warte, hör mir zu. Hörmir einfach nur zu. Ich empfinde nicht mehr dasselbe, weil ich nicht mehr derselbe Mensch bin wie damals. Ich weiß nicht, ob ich den Krieg und die Gefangenschaft überstanden hätte ohne den Gedanken an dich. Vielleicht hätte ich es auch niemals geschafft, von Omdurman fortzukommen, wenn du nicht mit Abbas genau an dem Tag dorthin gekommen wärst. Gut möglich, dass ich sonst nur noch ein Haufen Knochen wäre irgendwo in der Wüste. Aber wie sehr ich dich liebe, das habe ich wohl erst wirklich begriffen, als Len uns bedroht hat. Ich wäre bereitwillig gestorben, um dich zu retten, Grace – und gleichzeitig hat sich alles in mir dagegen gesträubt, dich ihm zu überlassen.« Er verstummte für einige Augenblicke und klang dann rauer als sonst. »Ich kann nicht verlangen, dass du dich noch immer an das Versprechen gebunden fühlst, das du mir damals auf Estreham gegeben hast. Aber wenn du das, was von mir übrig geblieben ist, immer noch willst – dann lass uns heiraten, Grace. So schnell wie möglich. Hier, in Cairo. Bevor wir nach England zurückfahren.«

52
    Die Sommersonne lag schwer wie ein Tuch aus Goldbrokat über dem stillen Garten von Shamley Green, und in der Verborgenheit der Rotunde hielten Royston und Ada einander in den Armen und küssten sich.
    Solange das Schuljahr am Bedford noch andauerte, hatten sie sich zurückhalten müssen; in London gab es keinen Raum für derlei

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