Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
anstelle der verhassten Offiziersausbildung. Bis sich seine Kraft zur Auflehnung erschöpft und er sich in sein Schicksal ergeben hatte.
Im Zwielicht des Laternenschimmers betrachtete Simon Adas Gesicht. Brennend war der Wunsch, sie einfach um die Taille zu fassen, sie in den Sattel eines Pferdes zu heben und mit ihr davonzureiten. Irgendwohin. An einen Ort, an dem Sehnsüchte keine bleiben mussten, an dem er Ada die Erfüllung all ihrer Träume zu Füßen legen konnte. Aber er war achtzehn: zualt, um nicht zu ahnen, dass es einen solchen Ort womöglich nicht gab, und zu jung, um die Hoffnung darauf bereits vollständig begraben zu haben.
»Du schaffst das, Ada«, sagte er daher nur. »Das weiß ich.«
Grace lenkte ihre Schritte an den Rand des Gartens, hinüber zur Rotunde, deren von Säulen getragene Kuppel sich in die Baumkronen des angrenzenden Wäldchens schmiegte. Eine Laune ihres Urgroßvaters, erbaut für ihre Urgroßmutter; ein lauschiges Plätzchen, damit man auch bei Regen im Garten sitzen konnte, und das an heißen Tagen Schatten spendete. Ein stiller, ein einsamer Platz, der an diesem späten Abend weiter entfernt wirkte von der Lebendigkeit des Gartenfests, als er tatsächlich war.
»Hier bist du«, sprach sie Becky an, die auf der obersten Stufe saß, einen Teller mit einer Auswahl an Kuchenstücken auf den Knien, und ließ sich neben ihr nieder. »Warum hast du dich denn hierher verkrochen?«
Becky kaute ganz undamenhaft mit vollen Wangen und blieb ihr die Antwort schuldig, schniefte nur immer wieder leise in sich hinein.
Beunruhigt sah Grace sie von der Seite an. »Hast du geweint?« Als sie nickte, legte Grace den Arm um sie und drückte sie an sich. »Was ist denn passiert?«
»Cecily«, nuschelte Becky, kaum dass sie hinuntergeschluckt hatte. »Diese blöde Pute.« Zornig spießte sie ein Stück Schokoladenkuchen mit der Gabel auf. »Ich solle doch endlich aufhören, mich Stevie derart an den Hals zu werfen. Das sei taktlos und peinlich. Peinlich findet mich diese eingebildete Ziege!« Die Zinken der Gabel rissen ein großes Stück aus dem Kuchen, das umgehend in Beckys Mund verschwand.
Grace legte das Kinn auf die Schulter der Freundin. »Du weißt doch, wie sie ist ... Manchmal trägt sie ihr Näschen eben ziemlich hoch. Nimm es dir nicht so zu Herzen.«
»Irgendetwas muss «, Becky stach auf den Schokoladenkuchenein, »ich doch tun, damit er es endlich begreift! Ich weiß «, auch das Stück Geburtstagstorte erlitt einen Zinkenstoß, unter dem der dicke Zuckerguss knirschend brach, »ganz einfach, dass ich die Richtige für ihn bin!«
So viele Geheimnisse, die sie sich hier, an diesem Ort, mit heißem Atem gegenseitig ins Ohr geflüstert hatten. Kleine Geheimnisse anfangs, die damals doch so riesengroß, so welterschütternd gewesen waren. Ich bekomme ein rosa Kleid zum Geburtstag; ich hab den Deckel der Schachtel angelupft, als Mama schnell aus dem Zimmer musste, um nach Stevie zu sehen. Ich hab gestern gesehen, wie mein großer Bruder David vor der Haustür Sally Lockheart geküsst hat. Geheimnisse, die in dem Maße größer wurden, wie ihre Glieder sich streckten, ihre Leiber und ihre Gesichter die kindliche Gestalt hinter sich ließen. Ich weiß, wo die kleinen Kinder herkommen; das ist ein bisschen so wie bei den Kühen und bei den Pferden, hat Lucy Hammersmith gesagt. Unser Vater kommt vielleicht bald für immer nach Hause. Geheimnisse, die zu herzabdrückend gewesen waren, um sie lange für sich zu behalten. Ich kann an nichts anderes mehr denken, Gracie – ich träume Tag und Nacht nur noch von Stevie. Mir geht Jeremy nicht mehr aus dem Sinn.
»Werdet ihr eigentlich durchbrennen, Jeremy und du? Jetzt, da du mündig bist?«
Grace sah ihre Freundin verblüfft an, fühlte sich fast ein wenig elend, dass ihr dieser Gedanke noch gar nicht gekommen war, und musste dann loslachen. »Es ist für die Laufbahn des künftigen Unteroffiziers Jeremy Danvers bestimmt sehr förderlich, wenn er mit der Tochter von Colonel Norbury durchbrennt!«
»Stimmt.« Becky klang enttäuscht. Mit grüblerischer Miene bearbeitete sie das Stück Nusstorte auf ihrem Teller. »Du, Grace ... Du weißt aber schon, dass es unter Umständen Jahre dauern kann, bis Jeremy sich so weit hochgedient hat, dass er nicht nur genug verdient für euch zwei, sondern auch, dass dein Vater ihn akzeptiert?«
Grace umschlang ihre Schienbeine. »Ja, das weiß ich.«
Becky schleckte die Gabel ab und deutete damit hinüber
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