Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
in den Garten, wo sich die Schattenrisse zweier Männer gemächlichen Schrittes von den übrigen Gästen entfernten. »Guck mal – da sind ja unsere beiden Herzbuben.«
»Kommst du?« Grace streckte die Hand nach ihr aus, aber Becky winkte ab.
»Geh ruhig allein.« Sie hob den Teller hoch. »Ich werde den restlichen Abend in der perfekten Gesellschaft verbringen – Biskuit und Nuss, Marzipan und Schokolade.«
Grace lachte und küsste sie herzhaft auf die Wange. »Ich hab dich lieb, Becky.«
Für einen kurzen Moment ließ Becky ihre Schläfe an der von Grace ruhen. »Ich hab dich auch lieb, Geburtstagskind.«
»... ich zähle schon die Tage. Diese Warterei macht mich krank«, sagte Stephen.
»Du hast bestanden, da bin ich mir sicher.«
Stephen zuckte mit den Schultern. Er setzte zu einer Erwiderung an, unterließ es aber, als sein Blick auf Grace fiel. Er hob die Hände und zog die Brauen hoch. »Bin schon weg!«
»Stevie ...« Grace hielt ihn am Ärmel seines Jacketts fest, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, dass er bliebe, und dem Wunsch, mit Jeremy allein zu sein.
Er drückte seiner Schwester einen Kuss aufs Ohr und raunte ihr zu: »Schon gut.« Mit einem verschwörerischen Zwinkern ging er davon, in der einen Hand sein Glas, die andere in der Hosentasche vergraben. Grace sah ihm nach, wie er sich mit dem für ihn so typischen langen, etwas staksigen Schlenderschritt zwischen den Gästen hindurchbewegte. Ziellos wirkte er und wie verloren, als wüsste er nicht, wo er hingehörte, und Grace war weh zumute.
»Dein Bruder gehört nicht ins Militär.«
»Nein«, flüsterte Grace. Bittend sah sie Jeremy an. »Denk nicht allzu schlecht über den Colonel. Er ist uns kein schlechter Vater. Nur ...«
»Nur eben zuallererst Offizier. Ich weiß. Das sind sie im Grunde alle, gleich welchen Dienstranges. Erst Soldat. Dann Vater. Meiner war genauso.«
»War?«
»Er ist vor einigen Jahren gestorben.« Seine Stimme hörte sich rauer an als sonst.
Grace’ Wangen glühten. »Das wusste ich nicht. Entschuldige, ich ...« Sie legte ihm die Hand auf den Arm, und er zuckte vor ihrer Berührung zurück.
Mit abgewandtem Blick nippte er an seinem Glas. »Das muss ich auch nicht an die große Glocke hängen. Es genügt, dass es in meiner Akte steht und dass ich es dir jetzt erzählt habe.« Ruppig waren seine Worte und blieben es auch. »Es gibt so einiges, das du über mich nicht weißt, Grace.«
»Ist das meine Schuld?« Scherzhaft hätte es klingen sollen; vertraulich geriet es, beinahe bedrückt.
Jeremys Mundwinkel kerbten sich ein. »Nein. Das liegt ganz allein an mir.«
Ohne Licht kein Schatten. Ohne Schatten kein Licht.
»Ich wollte dir nochmals danken«, sagte sie leise, »für das Buch.«
Sein Kinn schob sich ein klein wenig vor, und sein Mund verbreiterte sich. »Ein solch unpassendes Geschenk.«
Grace lächelte. »Ich fand es ganz und gar nicht unpassend. Im Gegenteil.«
Ihre Blicke verhakten sich ineinander.
Jeremy nahm ihre Hand und führte sie an seinen Mund, sodass sie seinen Atem durch den seidigen Stoff ihres Handschuhs spüren konnte. Dieses Mal schloss er die Augen nicht, und nicht zum ersten Mal war es Grace, als sähe er etwas in ihr, das niemand sonst sah.
»Wie lange willst du dir das eigentlich noch gefallen lassen?« Cecily trat neben Leonard und wies mit dem Kinn hinüber zuden Umrissen von Jeremy und Grace, die sich unbeweglich wie Scherenschnitte im Zwielicht abzeichneten. »Er drängt sich zwischen euch, und du schaust einfach zu.«
Leonard betrachtete das Champagnerglas in seiner Hand. »Weißt du, ich kann sie sogar verstehen. Jeremy ist anders. Anders als wir alle und anders als das, was Grace bislang kennengelernt hat. Das muss zwangsläufig einen ungeheuren Reiz auf sie ausüben, neugierig, wie sie ist.«
Cecily schwieg kurz, dann kam es behutsam, beinahe weich von ihr: »Du wirst sie verlieren, wenn du nicht achtgibst.«
Ein Lächeln blitzte in seinem Gesicht auf. »Man kann nichts verlieren, was ein Teil von einem selbst ist. Und Grace ist ein Teil von mir. Das war sie immer, und das wird sie immer bleiben.«
Zart strichen ihre Finger über seinen Arm. »Findest du nicht, du solltest trotzdem –«
»Nein, Sis.« Zwei Worte wie splitterndes Glas. »Im September brechen wir zu unseren künftigen Regimentern auf, aber während Jeremy jahrein, jahraus dazu verdammt sein wird, im Dienst zu bleiben, auf Gott weiß was für entlegenen Posten, bin ich in drei oder vier
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